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Pittys Blues

Pittys Blues

Titel: Pittys Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Gaebel
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zugehen, sie war barfuß, der Tau legte sich auf ihre Füße, die Grashalme kitzelten zwischen ihren Zehen, die Steine, auf die sie trat, waren rund und durch das Moos auf ihren Oberflächen leicht rutschig. Tulipe drehte sich zu Pitty, ohne sie zu sehen, und sie sprach, als meinte sie Pitty. Die Stimme der Sängerin rieselte an Pittys Rücken runter wie eine Handvoll warmer Sand.
    Sie sagte, Gene wäre wohl schon in Jampaign, woraufhin jemand anders hinzufügte, dass die Strömung des Flusses hoffentlich schneller fließen würde in jener Nacht. Und Pitty sah die Zusammenhänge, Pitty sah, was passiert war.
    Es war der Fluss, es war Gene, es war die Prügelei
zwischen Gene und Jones. Gene hatte es gewusst, er hatte gewusst, dass Elliot nicht sein Sohn war, er hatte es erfahren, und er war in Rage geraten. Gene mit einer Kugel im Rücken im Fluss. Und sie wusste mit einem Blick auf Moe und Tulipe und Jones, dass sie daran Anteil hatten, es haftete der Geruch des Zuspätkommens, des Unwiederbringlichen an ihnen. Und sie sah Elliot im Wagen mit nassen Haaren.
    Die Schläge hörten auf.
    Dick hatte die ganze Wut ins Auto geprügelt. Des Schwachsinns bei so einer Raserei wird man sich erst bewusst, wenn es zu spät ist, man komplett übers Ziel hinausgeschossen ist und bereits alles versaut hat. Oder, wie in Dicks Fall, der Wagen wie ein Haufen Schrott vor einem liegt.
    Die Erschütterungen von Dicks Schlägen hatten den Schnee auf den Ästen über ihm gelöst und ins Rutschen gebracht. Ein großer kalter Fladen knallte Dick auf den Kopf und brachte ihn wieder halbwegs zur Vernunft.
    Wenn man es so sehen will, hatten alle was davon, alle bis auf den Wagen, aber der war selbst schuld, warum war er auch wieder aufgetaucht.
    Pitty ging auf Dick zu und berührte ihn an der Wange.
    Er sah so anders aus als am Abend zuvor, echter, nicht so sanft wie im Kaminlicht. Sie sah die einzelnen kleinen Linien und Falten, sie sah seine Bartstoppeln, die sich wie schwarze Punkte auf seinen Wangen und an seinem Kinn aussäten, sie sah, dass seine Haut aus der Nähe gröber aussah als ihre, dass er eine kleine geplatzte
Ader unterhalb seines rechten Auges hatte. Und als sie ihm in die Augen sah, fielen ihr diese kleinen braunen Punkte auf, die sich wie Sommersprossen auf seiner blauen Iris breitmachten. Sie fand ihn schön. Er schwitzte. Und der Geruch, den er verströmte, ließ ihre Nase schmecken, woran sich ihr Mund noch so gut erinnern konnte.
    Sie küsste ihn. Dick entspannte sich, und bevor Pitty sich den verwässerten Schnee von der Wange wischen konnte, hatte er ihren Kopf in seine Hände genommen und küsste sie zurück.
    So standen sie vor Dicks Pick-up und wollten gar nicht mehr aufhören. Sie waren miteinander verschmolzen, aneinandergeklammert. Sie hätten den Frühling auf der Lichtung ausbrechen lassen können.
    Dick dachte, er würde durch die Hitze, die er empfand, durch die von ihm verursachte Schneedecke schmelzen. Er tat es nicht.
    Und wer auch nur im Geringsten daran zweifelte, dass Pitty und Dick zusammenpassten, der hätte nur diesen Augenblick miterleben müssen und nichts mehr zu bedenken gehabt.
    «Fühlst du dich besser?»
    «Ich weiß nicht, ich glaube schon.»Dick war gerade dabei, seinen Pick-up noch einmal zu betrachten, diesmal mit unverhohlenem Argwohn.«Das Scheißteil hätte auch gut wegbleiben können.»
    Er wandte sich wieder Pitty zu:«Und ich weiß immer noch nicht, wie du in die ganze Sache passt. Wie es kommt, dass du Tulipe gesehen hast.»

    Pitty war nur für einen Moment irritiert. Wenn sie Dick alles erzählte, was sie gesehen hatte, würde er sie für verrückt erklären. Sie zögerte:«Ich wusste es auch nicht, bis jetzt.»
    «Was meinst du?»
    «Ich habe es gesehen, ich erinnere mich wieder.»
    Und während Pitty Dick das Gesehene schilderte, stand Tulipe im Sugarclub und starrte aus dem Fenster und auf den Fluss, auf die Stelle, an der zehn Jahre zuvor Elliot ertränkt worden war.
    Tulipe wartete auf die Nacht. In der Nacht kannte sie sich aus, konnte sich geschmeidig zwischen Schatten bewegen, das war ihre Zeit, Zeit für ihre Musik, Zeit für Trost.
    Und während sie den restlichen Tag mit den Vorbereitungen für den Abend verbrachte, setzten sich auf der Lichtung in Dicks Kopf Bilder zusammen, die er nur in seiner Phantasie sehen konnte, Bilder, deren Farben und Aufbau Pitty ihm beschrieb wie einem Blinden. Sie platzierte Personen, sie gab ihnen Gesichter und Ausdruck.
    Und während sich

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