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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Amerikaner uns eine Schrotflinte, einen Sack Weizen sowie ein Survival-Handbuch und bauen eine Hütte in den Bergen, inklusive Windrad, Dieselgenerator und einem selbst gejagten Hirschbraten in der Gefriertruhe. Die amerikanische Liebe zur Natur ist oft keine Liebe zur Natur, sondern einfach Hass auf die Zivilisation.
    Als der Mathematikprofessor Ted Kaczynski mit 27 Jahren zu dem Entschluss kam, dass mit Amerika etwas grundsätzlich schiefgelaufen sein musste, warf er alles hin und zog in die Berge von Montana. Von dort aus schickte er zwischen 1978 und 1995 etliche selbst gebastelte Bomben an 16 Universitäten und Fluglinien und tötete damit insgesamt drei Menschen. Bevor er geschnappt wurde, schaffte er es noch, ein verworrenes 50-seitiges Manifest in der New York Times zu veröffentlichen, in dem er darlegte, dass die Industrielle Revolution der Menschheit ihre Autonomie geraubt, ihre Beziehung zur Natur empfindlich beeinträchtigt und sie gezwungen habe, sich auf unnatürliche Art und Weise zu verhalten. Er forderte die gesamte Menschheit auf, sich gegen die Herrschaft der Technologie zu erheben.
    Der »Unabomber«, wie man ihn nannte, war zwar ein Versager, was das Ausrufen der Revolution anging, und ein Heuchler obendrein – um Technologie, Massenkommunikation und staatlichem Postsystem ein Ende zu setzen, griff er just zu diesen Dingen –, aber seine Sorge war eine ur-amerikanische: Tief im Herzen glauben wir, die Zivilisation sei unser Verderben. Die Freiheit, die wir meinen, ist nicht die Freiheit einer wohlgeordneten Gesellschaft, in der jeder tun darf, was er will, sondern die Freiheit, zu tun und zu lassen, was man will, weil es keine Gesellschaft gibt.
    Auch Henry David Thoreau, ein weiterer Naturfreak, war ein Mann voller Widersprüche.
    Er überredete seinen Freund, den Philosophen und Poeten Ralph Waldo Emerson, ihm ein Stück Land in dessen Wald zu überlassen, um zwei Jahre lang so weit weg von der Zivilisation zu leben wie nur möglich. Er wollte wissen, ob er ohne andere Menschen auskommen könnte, ohne Kultur und Stil und Status, die ganze Tretmühle also – und ob er ohne sie glücklicher wäre. Dann kehrte er in die Zivilisation zurück und verwandelte sein Experiment in eine Karriere, indem er Bücher darüber schrieb, vor allem Walden und Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat .
    Thoreau lebte zur Zeit der raschen Industrialisierung der USA in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Viele sehen in ihm den Vater des Anarchismus. Er war es, der das Killerargument formulierte, man solle die Hoheit eines Staates nur dann anerkennen, wenn dieser in moralischer Hinsicht vollkommen ohne Fehl und Tadel wäre. Er war es auch, der den uramerikanischen Satz prägte: »Die beste Regierung ist die, die nicht regiert.« Nicht nur Hippies und Linke lieben diesen Spruch, auch die erzkonservativen Republikaner bis hin zum ungebildeten Hillbilly, der nicht versteht, wieso er keine Waffe tragen darf, wenn jeder Soldat eine hat.
    Thoreau machte salonfähig, was seine Landsleute schon immer wussten, aber längst nicht so elegant ausdrücken konnten: Es zeugt von Charakterstärke, die rigiden Strukturen der Gesellschaft hinter sich zu lassen und nur noch zu tun, wozu man Lust hat.
    Aber auch er war ein Heuchler: Einerseits positionierte er sich als scharfer Zivilisationskritiker, andererseits konnte er nicht leben, ohne regelmäßig griechische und lateinische Literatur zu konsumieren, und er nörgelte über die tumben Dorfbewohner. Er pries die Einsamkeit, weil er so besser auf seine Seele hören könne, musste aber natürlich alle zwei Tage ins Dorf fahren, um den neuesten Klatsch und Tratsch nicht zu verpassen. Er verdammte Karrieristen, benutzte sein Experiment aber erfolgreich als Sprungbrett zu einer Karriere als philosophisch-gesellschaftskritischer Autor und kehrte sein Leben lang nie wieder in den Wald zurück.
    Ausgerechnet diese Widersprüche machen ihn aber zum typischen Amerikaner: Er war voller Sehnsucht nach der Wildnis – und gleichzeitig ein Bändiger der Natur.
    In den Siebzigern, als die Hippie-Rebellion auf die Disco-Dekadenz traf, war der Untergang Amerikas bei uns zu Hause oft Thema häuslicher Diskussionen.
    Mein Vater machte sich große Sorgen über die Lage des Landes und empfahl uns Kindern ein Buch, das viele Väter ihren Kindern empfehlen: Verfall und Untergang des römischen Reiches von Edward Gibbon, ein Klassiker der englischen Geschichtsschreibung des 18.

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