Platon in Bagdad
Kräften, die ein Gleichgewicht erzeugen, und die Einheit des Kosmos war dem
Logos,
der Vernunft, zu verdanken, das der natürlichen Welt Ordnung verleiht. Das Göttliche war für ihn die Einheit von Gegensätzen. So heißt es in einem Fragment: »Gott ist Tag-Nacht, Winter-Sommer, Krieg-Frieden, Sättigung-Hunger, er wandelt sich gerade so, wie Feuer, wenn man es mit Räucherwerk vermischt, nach dem Wohlgeruch jedes einzelnen benannt wird.«
Heraklit war überzeugt, dass die Sinne trügerisch seien und dass ihre Beweiskraft mit Vorsicht angewendet werden müsse, weil sie sich auf vergängliche Erscheinungen bezögen. In einem seiner Aphorismen meint er: »Schlechte Zeugen sind den Menschen Augen und Ohren, wenn sie Seelen haben, die deren Sprache nicht verstehen.«
Die Naturwissenschaften entwickelten sich weiter und die
physikoi
erweiterten den einen oder anderen Zweig von schon Begonnenem. Hekataios von Milet (um 500 v. Chr.), ein Zeitgenosse Heraklits, folgte dem Vorbild Anaximanders und zeichnete eine Karte der Welt, soweit sie den Griechen bekannt war. Als Anhang zu dieser Karte verfasste er ein Werk mit dem Titel
Periegesis
, einen »Reiseführer« oder »eine Reise um die Welt«, eine Beschreibung der Länder und Völker, die man auf einer Küstenfahrt rund um das Mittelmeer und das Schwarze Meer sehen konnte, einschließlich einiger Erkundungen zu Lande, bis nach Skythien, Persien und Indien. Die enorme Ausdehnung der Karte lässt ermessen, wie weit die Griechen für die Besiedlung und den Handel gereist waren und mit welch unterschiedlichen Kulturen sie am Mittelmeer und am Schwarzen Meer in Kontakt kamen.
Dass sich die ionische Aufklärung im dritten Viertel des 6. Jahrhunderts v. Chr. bis nach Großgriechenland ausbreitete, ist den beiden originellsten Köpfen der archaischen Zeit, Pythagoras und Xenophanes, zu verdanken.
Pythagoras (um 560-um 480 v. Chr.) wurde auf Samos geboren, einer der beiden zum Ionischen Bund gehörenden ägäischen Inseln, nordwestlich von Milet vor der ägäischen Küste Kleinasiens gelegen. Nach einer alten Überlieferung soll Pythagoras in seiner Jugend nach Ägypten und nach Babylonien gereist sein, um Mathematik zu studieren. Als er volljährig wurde, floh er vor Polykrates, dem Tyrannen von Samos, und zog nach Kroton in Südwestitalien, einer im 8. Jahrhundert v. Chr. entstandenen griechischen Kolonie. Dort begründete er eine Gesellschaft, die wissenschaftliche Schule und religiöse Sekte zugleich war – zu ihren Glaubensbekenntnissen gehörte die Metempsychose oder Seelenwanderung. Ansonsten ist über Pythagoras selbst nur wenig bekannt und seine eigenen Ideen sind kaum von denen seiner Anhänger zu trennen.
Die Pythagoreer gelten als Schöpfer der Grundlagen der griechischen Mathematik, insbesondere der Geometrie und der Zahlentheorie. Ihre berühmteste Entdeckung ist der Satz des Pythagoras, der besagt, dass in einem rechtwinkligen Dreieck das Quadrat der Hypotenuse der Summe der Quadrate der beiden Katheten entspricht.
Ihre religiösen Überzeugungen führten die Pythagoreer auch zur Numerologie oder Zahlenmystik, darunter auch Auffassungen wie diese: dass ungerade Zahlen männliche und gerade Zahlen weibliche Eigenschaften hätten. Die heiligste Zahl war die Zehn, die Summe der ersten vier Zahlen, wobei die Eins das »Atom« der Zahlen ist, von denen zwei eine Gerade ergeben, von denen drei, wenn nicht alle in einer Reihe, eine Fläche ausmachen und vier, wenn sie nicht alle auf derselben Ebene liegen, die Scheitelpunkte eines Körpers ergeben. Übereinander als eine Serie von Punkten oder »figurierten Zahlen« angeordnet – d. h. 1(.), 2(. .), 3(…), 4 (… .) – bilden die ersten vier Zahlen ein gleichseitiges Gebilde, das als
Tetraktys
bekannt ist, die Zahl des Universums, weil sie die Summe aller möglichen Dimensionen ist. Die
Tetraktys
wurde das Symbolder Pythagoreer, die sich einen Ruf als Zauberer und Hexenmeister erwarben. Hippolyt, der Kirchenvater aus dem 3. Jahrhundert, schreibt in der
Widerlegung aller Häresien,
dass sich die Pythagoreer »an Magie und an pythagoreische Zahlen« hielten, und über Pythagoras: »Er soll auch Magie getrieben haben und erfand die Physiognomik.«
Auch unser Begriff »Kosmos«, den ein modernes Wörterbuch als ein »ordentliches, harmonisches und systematisches Universum« beschreibt, soll auf die Pythagoreer zurückgehen. Die ursprüngliche griechische Bedeutung von
kosmos
findet sich bei Platon in einer Passage
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