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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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        »Das legt sich. Außerdem hindert dich nichts daran, einen Massagesalon zu besuchen, wenn du verheiratet bist; dafür sind sie sogar da.«
        »Ich weiß. Ich glaube ... Ich glaube, daß es mir im Grunde immer schwergefallen ist, im Leben wichtige Entscheidungen zu fällen.«
        Ein wenig verlegen aufgrund dieses Geständnisses wandte er sich mir zu: »Und du Michel, was willst du hier machen?«
        Die Antwort, die der Wirklichkeit am nächsten kam, wäre vermutlich irgend so etwas wie » Nichts « gewesen ; aber es ist immer schwierig, jemandem, der aktiv ist, so etwas klarzumachen. »Kochen ...«, erwiderte Valérie an meiner Stelle. Überrascht wandte ich mich ihr zu. »Ja, ja«, sagte sie, »ich habe bemerkt, daß dich das manchmal reizt, daß du schöpferische Anwandlungen auf diesem Gebiet hast. Das paßt sehr gut, denn ich koche nicht gern ; ich bin sicher, daß du hier damit anfängst. «

    Ich probierte mein Hühnchencurry mit grüner Paprika; tatsächlich, mit Mangos ließ sich etwas machen. Jean-Yves nickte nachdenklich. Ich blickte Valérie an: Sie besaß ein echtes Raubtiertalent, war intelligenter und hartnäckiger als ich; und sie hatte mich auserwählt, um die Höhle mit ihr zu teilen. Man kann vermuten, daß die Gesellschaften auf einem gemeinsamen Willen oder zumindest auf einem Konsens beruhen, der in den westlichen Demokratien von einigen Leitartiklern mit besonders ausgeprägten politischen Standpunkten manchmal als lah mer Konsens bezeichnet wird. Da ich selbst ein eher lahmes Temperament besitze, hatte ich nichts getan, um auf diesen Konsens einzuwirken; der Gedanke eines gemeinsamen Willens erschien mir weniger einleuchtend. Immanuel Kant zufolge besteht die menschliche Würde darin, nur in dem Maße bereit zu sein, sich einem Gesetz zu unterwerfen, wie man sich zugleich als gesetzgebendes Glied betrachten darf; so ein Stuß wäre mir selbst nie eingefallen. Zum einen wählte ich nicht und zum anderen waren die Wahlen für mich nie etwas anderes gewesen als ausgezeichnete Fernsehshows - in denen meine Lieblingsschauspieler, ehrlich gesagt, die Politologen waren; Jérôme Jaffré gefiel mir besonders. Politische Verantwortung zu tragen schien mir ein schwieriger, aufreibender Beruf zu sein, der eine hohe fachliche Kompetenz voraussetzte; ich war gern bereit, die geringe Macht, die ich besaß, an andere zu delegieren. In meiner Jugend hatte ich politisch engagierte Leute kennengelernt, die es für nötig erachteten, die Entwicklung der Gesellschaft in die eine oder andere Richtung voranzutreiben; sie hatten mir nie Sympathie oder Achtung eingeflößt. Ich hatte sogar allmählich gelernt, ihnen zu mißtrauen: Ihre Art, sich für allgemeine Interessen einzusetzen und so zu tun, als sei die Gesellschaft ihnen etwas schuldig, war ziemlich fragwürdig. Was hatte ich dagegen den westlichen Ländern vorzuwerfen? Nicht viel, aber ich hing eben nicht sonderlich an ihnen (und ich konnte immer weniger begreifen, wie man an einem Gedanken, an einem Land oder ganz allgemein gesagt an etwas anderem als einem Individuum hängen kann). In den westlichen Ländern war das Leben teuer, es war kalt; die Prostitution besaß einen niedrigen Standard. Es war schwierig, in öffentlichen Gebäuden zu rauchen, fast unmöglich, Medikamente und Drogen zu kaufen; man arbeitete viel, es gab Autos und Lärm, und für die Sicherheit in der Öffentlichkeit war nicht ausreichend gesorgt. Insgesamt waren das eine ganze Menge Nachteile. Ich stellte plötzlich betreten fest, daß ich die Gesellschaft, in der ich lebte, im großen und ganzen wie ein natürliches Milieu betrachtete - sagen wir wie eine Savanne oder den Dschungel -, dessen Gesetzen ich mich zu unterwerfen hatte. Der Gedanke, daß ich innerlich mit diesem Milieu verbunden war, war mir nie gekommen, wie etwas, das bei mir verkümmert war oder mir fehlte. Es war nicht sicher, ob die Gesellschaft sehr lange mit Individuen wie mir überleben konnte; aber ich konnte mit einer Frau überleben, sie liebgewinnen und versuchen, sie glücklich zu machen. In dem Augenblick, als ich Valérie erneut einen dankbaren Blick zuwarf, hörte ich auf der rechten Seite etwas klicken. Dann nahm ich aus Richtung des Meers das Geräusch eines Motors wahr, der sogleich abgestellt wurde. Auf dem vorderen Teil der Terrasse stand eine große blonde Frau mit lautem Kreischen auf. Ein erster Feuerstoß war zu hören, ein kurzes Knattern. Sie drehte sich uns zu, hob

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