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Plattform

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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Kopf. »Wenn du dich dafür entschieden hast...«, sagte er, »wenn du das gern möchtest ... Schließlich unterstehen die Eldorador Clubs ja mir«, sagte er, als würde ihm das jetzt erst richtig klar, »ich habe völlig freie Hand, wen ich zum Geschäftsführer eines Clubs ernenne.«
        »Du wärst also einverstanden?«
        »Ja... Ich kann dich ja nicht daran hindern. «

        Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man plötzlich spürt, daß das Leben eine völlig andere Wendung nimmt; man braucht nur dazubleiben, ohne etwas zu tun, und sich nur auf dieses neue Gefühl einzulassen. Während des ganzen Essens blieb ich stumm und nachdenklich, so daß Valérie schließlich beunruhigt fragte: »Bist du sicher, daß dir das recht ist? Bist du sicher, daß du Frankreich nicht vermissen wirst?«
        » Ich vermisse bestimmt nichts. «
        »Hier gibt es keinerlei Ablenkungen, kein kulturelles Leben.«
        Das war mir klar; die Kultur schien mir, soweit ich überhaupt Gelegenheit gehabt hatte, darüber nachzudenken, eine notwendige Kompensation zu sein, die an das Unglück unseres Lebens gebunden war. Man hätte sich vielleicht eine völlig andere Kultur vorstellen können, die mit Festlichkeiten und lyrischen Ereignissen verknüpft war und die sich inmitten eines Glückszustands entwickelt hätte. Ich war mir dessen nicht sicher, das schien mir eine ziemlich theoretische Überlegung zu sein, die für mich nicht mehr von Bedeutung sein konnte.
        »Es gibt ja noch TV5 ...«, sagte ich gleichgültig. Sie lächelte; TV5 war schließlich einer der miserabelsten Fernsehkanäle der Welt, das wußte jeder. »Bist du sicher, daß du dich nicht langweilen wirst?« fragte sie mit Nachdruck.
        Ich hatte in meinem Leben Leid, Beklemmung und Angst erlebt, nur Langeweile, die kannte ich nicht. Ich hatte nichts gegen die stumpfsinnige Wiederholung des ewig Gleichen einzuwenden. Selbstverständlich machte ich mir nicht die Illusion, daß es soweit kommen konnte. Ich wußte, daß das Unglück zäh, erfinderisch und hartnäckig ist; auf jeden Fall war das eine Aussicht, die mir nicht die geringste Sorge einflößte. Als Kind konnte ich Stunden damit verbringen, den Klee auf einer Wiese zu zählen: In mehrjähriger Suche habe ich nie ein vierblättriges Kleeblatt gefunden, und dennoch war ich darüber weder enttäuscht noch verbittert; ehrlich gesagt, hätte ich genausogut Grashalme zählen können, denn all dieser dreiblättrige Klee kam mir wahnsinnig identisch, wahnsinnig schön vor. Mit zwölf war ich eines Tages auf die Spitze eines Hochspannungsmasts im Hochgebirge geklettert. Während ich hochkletterte, hatte ich kein einziges Mal nach unten geblickt. Als ich schließlich oben auf der Plattform stand, schien es mir kompliziert und gefährlich, wieder hinabzusteigen. Die von ewigem Schnee bedeckten Gebirgsketten zogen sich bis ins Unendliche hin. Es wäre viel leichter gewesen, dort oben zu bleiben oder hinabzuspringen. Im letzten Augenblick hatte mich jedoch die Vorstellung, auf der Erde zu zerschmettern, davon abgehalten. Andernfalls hätte ich bestimmt einen endlosen Orgasmus bei diesem Flug gehabt.
        Am folgenden Tag lernte ich Andreas kennen, einen Deutschen, der seit etwa zehn Jahren in dieser Region wohnte. Er war Übersetzer, wie er mir erklärte, was ihm erlaubte, allein zu arbeiten; er kehrte einmal im Jahr anläßlich der Frankfurter Buchmesse nach Deutschland zurück. Wenn er auf Übersetzungsprobleme stieß, löste er sie mit Hilfe des Internet. Er hatte das Glück gehabt, mehrere amerikanische Bestseller zu übersetzen, unter anderem Die Firma, was ihm recht anständige Einkünfte sicherte; außerdem war das Leben in dieser Gegend nicht sehr teuer. Bisher hatte es kaum Tourismus gegeben, daher war er ziemlich verwundert, als er mit einem Mal so viele Landsleute hier auftauchen sah; er war nicht gerade begeistert, aber auch nicht wirklich entsetzt darüber. Er hatte kaum noch Beziehungen zu Deutschland, auch wenn ihn sein Beruf zwang, die deutsche Sprache weiterhin zu pflegen. Er hatte eine Thai geheiratet, die er in einem Massagesalon kennengelernt hatte, sie hatten inzwischen zwei Kinder.
        »Ist das leicht, hier... äh... Kinder zu haben?« fragte ich. Ich hatte den Eindruck, eine unpassende Frage zu stellen, etwa so, als fragte ich, ob es leicht sei, hier einen Hund zu kaufen. Ehrlich gesagt, habe ich immer eine gewisse Abneigung gegen Kleinkinder gehabt; soweit

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