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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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die Hände hoch : eine Kugel hatte ihr Auge getroffen, die Augenhöhle war nur noch ein blutiges Loch; dann brach sie lautlos zusammen. Da konnte ich die Angreifer erkennen: drei Männer mit Turban, die Maschinenpistolen in den Händen hielten und auf uns zurannten. Ein zweiter, etwas längerer Feuerstoß ertönte; das Klirren von Geschirr und zerbrochenem Glas verschmolz mit den Schmerzensschreien. Mehrere Sekunden lang müssen wir wohl wie gelähmt gewesen sein; kaum jemand dachte daran, unter den Tischen Schutz zu suchen. Neben mir stieß Jean-Yves einen kurzen Schrei aus, er war am Arm getroffen worden. Dann sah ich, wie Valérie ganz langsam von ihrem Stuhl sank und auf die Erde sackte. Ich stürzte mich auf sie, nahm sie in die Arme. Von diesem Augenblick an sah ich nichts mehr. In der Stille, die vom Bersten des Glases unterbrochen wurde, folgte ein Feuerstoß auf den anderen; es kam mir endlos vor. Es roch stark nach Pulver. Dann wurde es wieder still. Da bemerkte ich, daß meine linke Hand blutüberströmt war; Valérie mußte am Hals oder an der Brust getroffen worden sein. Die Lampe neben uns war zerschossen worden, es herrschte fast völlige Dunkelheit. Jean-Yves, der einen Meter neben mir lag, versuchte aufzustehen und stieß ein Stöhnen aus. In diesem Augenblick ertönte aus der Richtung des Freizeitzentrums eine ohrenbetäubende Explosion, die noch lange in der Bucht nachhallte. Erst glaubte ich, mein Trommelfell sei geplatzt; doch ein paar Sekunden später nahm ich völlig benommen ein entsetzliches Geschrei, ein geradezu höllisches Konzert wahr.

    Die Rettungsmannschaft traf zehn Minuten später ein, die Helfer kamen aus Krabi; sie nahmen sich zunächst des Freizeitzentrums an. Die Bombe war mitten im Crazy Lips, der größten Bar, zu einem Zeitpunkt hohen Andrangs explodiert; sie war in einer Sporttasche, die jemand neben der Tanzfläche zurückgelassen hatte, ins Lokal geschmuggelt worden. Eine selbstgebastelte, aber sehr starke Sprengladung auf Dynamitbasis, ausgelöst von einem Wecker; außerdem war die Tasche mit Schrauben und Nägeln vollgestopft. Die Explosion war so heftig gewesen, daß die dünnen Hohlziegelwände, die die Bar von den anderen Einrichtungen trennte, weggefegt worden waren ; mehrere der Metallträger, die das Ganze stützten, hatten unter dem Druck nachgegeben, das Dach drohte einzustürzen. Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe bestand die erste Reaktion der Rettungsmannschaft darin, Verstärkung zu rufen. Vor dem Eingang der Bar kroch eine Tänzerin, die noch ihren weißen Bikini trug, mit an den Ellbogen abgerissenen Armstümpfen auf dem Boden. Ganz in der Nähe saß ein deutscher Tourist inmitten der Trümmer und hielt die Eingeweide zurück, die aus seinem Bauch hervorquollen; seine Frau lag mit aufgeplatztem Oberkörper und halb zerfetzten Brüsten neben ihm. Das Innere der Bar war mit schwarzem Rauch erfüllt; der Boden war rutschig
    und voller Blut, das aus den menschlichen Körpern und den abgerissenen Gliedmaßen strömte. Mehrere Schwerverletzte, die ihre Arme oder Beine verloren hatten, versuchten zum Ausgang zu kriechen und ließen eine Blutspur hinter sich. Die Schrauben und Nägel hatten Augen zerstochen, Hände abgerissen, Gesichter zerfetzt. Manche Körper waren buchstäblich zerplatzt, ihre Gliedmaßen und ihre Eingeweide lagen in einem Umkreis von mehreren Metern auf dem Boden verstreut.
        Als die Retter auf die Terrasse kamen, hielt ich Valérie immer noch in den Armen; ihr Körper war warm. Zwei Meter vor mir lag eine Frau auf dem Boden, ihr blutüberströmtes Gesicht war übersät mit Glasscherben. Andere saßen mit offenem Mund in Todesstarre auf ihrem Stuhl. Ich stieß einen Schrei aus, um die Rettungsmannschaft auf mich aufmerksam zu machen: Zwei Sanitäter kamen sofort zu uns und hoben Valérie vorsichtig auf eine Trage. Ich versuchte mich aufzurichten, fiel aber wieder nach hinten; mein Kopf schlug auf den Boden. Dann hörte ich ganz deutlich, wie jemand auf französisch sagte : »Sie ist tot.«

    Dritter Teil

    Pattaya Beach

    1

    Zum ersten Mal seit langer Zeit wachte ich allein auf. Das Krankenhaus in Krabi war ein kleines helles Gebäude; ein Arzt besuchte mich im Laufe des Vormittags. Er war Franzose und gehörte der Vereinigung Médecins du Monde an; sie waren am Tag nach dem Attentat eingetroffen. Der Mann war Anfang Dreißig, hatte eine leicht gebeugte Haltung und einen besorgten Gesichtsausdruck. Er teilte mir mit, daß ich drei

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