Plötzlich Royal
Physik zu studieren, obwohl er Bedenken hatte, ein so schwieriges Studium zu schaffen.
Wir brachten Simons Sachen von der Wohnung seiner Eltern zu mir nach Hause, machten eine kleine Einweihungsparty für ein paar schwule Bekannte und die paar alten Kollegen aus der Schule und dem Militär, die kein Problem mit meiner sexuellen Orientierung hatten. Den Sommer über trieben wir viel Sport und unternahmen lange Ausflüge mit dem Fahrrad oder Wanderungen in den Alpen. Wir waren durchaus auch ein paarmal in der Zürcher Schwulenszene unterwegs.
Der gemeinsame rosarote Sommer war fantastisch, hingegen fanden wir beide den Semesterbeginn an der ETH im Anschluss einen ziemlichen Kulturschock. Wir mussten hart arbeiten, um im Studium mitzuhalten. Trotzdem wollten wir nicht nur formal bei der schwul-lesbischen Studentengruppe Zart & Heftig Mitglied sein. So kamen wir in Kontakt mit richtigen Schwulenaktivisten.
In Moskau erreichte unser studentisches Engagement für Homo-Rechte seinen Höhepunkt. Ich saß mit Simon und dem grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck in einer Zelle. Zusammen mit etlichen andere Aktivisten hatten wir zuvor an einer nicht genehmigten Demonstration teilgenommen. Die Polizei hatte es zugelassen, dass uns rechtsextreme Schläger verprügeln konnten. Mehr noch, der Leiter des Ausschusses für Wissenschaft und Kultur im Föderationsrat, Viktor Schudegow, tadelte uns, wir sollten unser abweichendes Verhalten von allgemein akzeptierten Normen nicht öffentlich zur Schau stellen und das auch noch als Menschenrecht darstellen. Als wir nach sehr langen Stunden vom jeweils zuständigen Botschafter auf der Polizeistation abgeholt wurden, verbot mir der britische Diplomat ausdrücklich, auf Schudegows Äußerungen zu reagieren. Die Beulen am Kopf heilten schnell, doch die in Russland erfahrenen Beleidigungen machten Simon und mir noch viel länger zu schaffen.
Adel verpflichtet
Gegen Kälte kann man sich schützen, gegen Hitze nicht. Der Föhn aus dem Glarnerland hatte in der Linthebene in diesen letzten Augusttagen die Temperaturen über die Dreißig-Grad-Marke schnellen lassen. Ich war dankbar, dass dieses völlig sinnlose Militärmanöver mit meinen Piranha-Radpanzern endlich ein Ende gefunden hatte. Damit hatten wir den anstrengendsten Teil des vierwöchigen militärischen Wiederholungskurs des Jahres 2008 überstanden. Ich empfand das Militär als cool, um mal andere Leute außerhalb der schwulen Szene und der Hochschule zu treffen. Doch der Rest war manchmal auch doof. Ich weiß nicht, ob die anderen Offiziere unbedingt in einen „Füdli-Spunten“ – eine Oben-ohne-Bar – gehen wollten, weil ich schwul war. Ihnen zuliebe spielte ich mit und stellte beruhigt fest, dass Heten mindestens so kindisch sein konnten wie Schwule, wenn erotische Spannung in der Luft lag.
Während mein Soldaten-Zug nun am Ende des Arbeitstages mit dem Parkdienst beschäftigt war, musste ich schnell noch die Wache vor der Mannschaftsunterkunft kontrollieren, da ich dummerweise der Tages-Offizier war. Ich ging die Rampe hinunter zur Zivilschutzanlage. Dort herrschte nach der Rückkehr vom Manöver ein emsiges Kommen und Gehen.
„Wacht Kompanie drei“, meldete ein altgedienter Gefreiter aus meinem Zug, der an diesem Tag bei der Wache eigeteilt war. Die Meldung klang eher wie ein normales „Hallo, wie geht’s?“ und nicht wie eine zackige Meldung. Der Gefreite war Schreinermeister mit eigener Firma. Ich schaute immer diskret weg, wenn er während der Übungen via Handy seine Firma managte. Woher sollte ich, ein Student, der mit dreiundzwanzig immer noch aussah wie ein achtzehnjähriger Bub, die Frechheit nehmen, einem gestandenen Mann mit Betrieb und Familie dies zu verbieten?
„Gay-Of! Endlich, ich muss dir was zeigen“, rief mir der Schreinermeister entgegen.
Wirkliche Probleme hatte ich nicht mit dem Spitznamen. Man kannte sich im Zug und wusste, worauf es ankam, auch ohne dauerndes Kommandieren. Wichtig war es als Offizier, immer die Übersicht zu behalten und im entscheidenden Moment klare, nachvollziehbare Anweisungen zu geben.
„Hast du schon gehört? Du bist doch auch in dem Blaublut-Club drin. Musst lesen!“
Der Schreinermeister schob mir den Tagesanzeiger hin. Es wurde nun auf der Rampe herunter in die Zivilschutzanlage nicht mehr so schnell gerannt, und das Drängeln vorbei am Wachtpult stoppte. Alle blieben neugierig stehen; der Bunker schien den Atem anzuhalten.
Der Meister hatte die Homepage
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