Ploetzlich verliebt
auch.
Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig, als mich schlieÃlich zu fragen: »Arbeitest du hier?«
Und da begriff ich: Er hatte tatsächlich keine Ahnung, wer ich war. Aber jetzt war ich also in seiner Dimension gelandet! Er hielt mich nämlich nicht für eine Dreizehnjährige, die auf seine Schule ging, sondern für: erstens, eine andere. Zweitens, für viel älter.
»Ja«, behauptete ich nach einer Schrecksekunde. »Kann ich dir helfen?«
»Hm.« Er guckte mich mit seinen hellgrauen Augen an und seine Lippen, die vollkommensten Lippen, die ich je bei einem Jungen gesehen habe, verzogen sich zu einem Lächeln.
Leicht vorstellbar, diese Lippen zu küssen.
Wenn man wüsste, wie küssen geht.
Oh je, was hatte er gerade gesagt? Ich hatte nur noch den letzten Teil mitbekommen: »... den neuen Reborn -Band kaufen.«
In meinem Kopf begannen sich alle Rädchen zu drehen. Reborn, dachte ich, Reborn, was ist das noch mal gleich? Dann schlug ich mir innerlich mit der Hand vor die Stirn.
Reborn war ein Manga, ein japanischer Comic, alles klar.
»Reborn ist nicht schlecht«, sagte ich, kramte weiter in meinem Bücher-Gedächtnis und richtete mich noch etwas höher auf. »Aber wenn du mal was wirklich Cooles lesen willst, dann nimm Shini.« Nicht dass ich mich bis jetzt so besonders für Mangas interessiert hätte. Aber weil ich oft zuhöre, wenn meine Mutter mit den Kunden spricht, bin ich eben ziemlich gut über alles Neue informiert.
»Shini?«, fragte er überrascht. »Sagt mir nichts.«
»Wahnsinnig spannend«, zitierte ich meine Mutter. »Es geht um Todesgötter und Gom, einen Musterschüler, der gegen sie kämpft.«
»Mhm«, meinte Henri.
»Ãbersichtliche Bildeinteilung, sauber ausgearbeitete Details«, ratterte ich herunter. »Düstere Stimmung und unheimlich fesselnd. Nicht so ein Einheitsbrei wie Reborn. Klar, ist schlieÃlich von einer Frau. Miyu heiÃt sie.«
»Nicht so ein Einheitsbrei, ja?« Er sah mich aufmerksam an. »Interessant.«
»Du weiÃt schon, die Bilder sind einfach nicht so überfrachtet und inhaltlich, da hat es neben dem ganzen schwarzen japanischen Todesmythos auch noch âne Menge Humor. Und es geht auch um Moral und so was.« Ich konnte die Blicke meiner Mutter hinter mir spüren, sie bohrte mir nämlich schwarze japanische Löcher in den Rücken.
»Moral, verstehe«, murmelte Henri.
Ich nahm das Heft aus dem Regal und hielt es ihm hin. »Vertrau mir einfach. Ich heiÃe übrigens Suse.«
»Hallo Suse. Ich bin Henri.« Er musterte mich noch einen Moment, dann blickte er das Heft in seiner Hand an. »Na gut, dann nehme ich das hier. Ich bin sehr gespannt.« Er zwinkerte mir zu. Glaub ich. Sicher konnte ich mir nicht sein, weil mein Verstand wegen seiner ozeangrauen Augen offline gegangen war.
Vorsichtshalber zwinkerte ich jedenfalls zurück. »Sehr gut. Du kannst ja mal wieder reinschauen und mir sagen, wie es dir gefallen hat.«
Henri bezahlte und sah mir tief in die Augen. »Man sieht sich«, sagte er oder so was in der Richtung â ich war wieder zu sehr mit In-Henris-Augen-Gucken beschäftigt, um genau hinzuhören â, dann war er weg.
»Wusste gar nicht, dass du dich mit Mangas auskennst«, hörte ich neben mir die Stimme meiner Mutter. Und da fiel ich zurück in meine eigene kleine Dimension der Dreizehnjährigen.
»Ich auch nicht«, antwortete ich und trank einen Schluck von meinem inzwischen kalt gewordenen Ingwertee. »Aber offenbar habe ich ein gutes passives Gedächtnis.«
Gerade wollte ich ansetzen, ihr den Unterschied zwischen aktivem und passivem Gedächtnis zu erläutern, als sie mit der Zunge schnalzte. »Sehr hübscher Junge jedenfalls! Ãbrigens: Er kommt jeden Dienstag, um sich ein neues Manga zu kaufen.« Meine Mutter strich sich eine braunrote Locke aus dem Gesicht und lächelte mich verschwörerisch an. Wir haben dieselben Haare und sehen uns angeblich überhaupt sehr ähnlich. Sie glaubt sogar, man könnte sie für meine ältere Schwester halten. Pfft. Träum weiter, Mama. Aber das sage ich ihr natürlich nicht.
»Träum weiter« galt für den Rest des Tages sowieso eher für mich. Die Geschichte mit HeartbreakHenri sollte auf jeden Fall mein ganz persönliches, groÃes Geheimnis sein. Ich wollte es nie,
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