Polski Tango - Eine Reise durch Deutschland und Polen
die riesige Hunde haben. Die Hunde sind größer als ihre Besitzer, daher habe
ich ein bißchen Angst vor ihnen. Sie heulen nachts so laut, daß ich im Halbschlaf immer der festen Überzeugung bin, sie werden
in der Pfanne gebraten. Die Punks haben so viele und, wie mir scheint, auch ständig wechselnde Hunde, daß ich diese These
auch im Wachzustand bis heute noch nicht gänzlich verworfen habe. Eine ältere, robuste Berlinerin, die gleichfalls im Haus
wohnt, sagte zu mir im Treppenhaus einmal verschwörerisch, wir hätten ja ziemlich »lebhafte Nachbarn«, und rollte mit den
Augen. Auch sie hat einen Hund, einen kleinen Dackel, deshalb weigerte ich mich, ihrer Feststellung etwas Sachdienliches hinzuzufügen.
Auch der völlig unangemessene Ausdruck »lebhaft«, den sie verwendete, schien mir dermaßen deplaziert, daß ich ihr mißtraute.
Womöglich steckt sie mit den Punks unter einer Decke und züchtet in ihrem Wohnzimmer Welpen, die heranreifen zu Pferdegröße
und die sie den Punks dann regelmäßig zum Schlachten überläßt. Sie ist Rentnerin und hat sonst nichts zu tun.
Aber wahrscheinlich ist dies nur eine der Verschwörungstheorien, wie sie den Polen ohnehin eigen sind, angesichts ihrer tragischen
Geschichte.
|193| In Krakau und in Warschau hat der Hund einen weitaus geringeren sozialen Status. Genauer gesagt: Es gibt kaum Hunde. Vielleicht
sind die Wohnungen einfach zu klein, um einem Vierbeiner genügend Auslauf zu gestatten. Die wenigen Hunde, die man abends
erblickt, werden jedenfalls ganz eng an der Leine geführt, und man sieht den Besitzern an, daß sie sich schämen für ihr Haustier.
Sie schämen sich, daß es ihn überhaupt gibt, den Hund an ihrer Seite, und sie bereuen seine Anschaffung zutiefst. Anders ist
nicht zu erklären, warum nur Männer mit hochgeschlossenem Mantelkragen ihre Hunde ausführen. Höchstens noch damit, daß es
Beamte des Drogendezernats sind und die Hunde nur ihre Spürhunde. Die einzigen Hunde in Polen.
Ich laufe die Schönhauser Allee Richtung Süden entlang. Das gewohnte Bild: Eine Flut von Fahrradfahrern rast mir, auch auf
dem Gehweg, entgegen. Es ist in Berlins Straßen wesentlich wahrscheinlicher, von einem Fahrradfahrer getötet zu werden als
von einem Laster, der sich zumindest akustisch ankündigt, einer sanften Warnung gleich.
In Polen gibt es dieses Verkehrsproblem nicht. In Polen gibt es keine Fahrradfahrer. Polnische Männer fahren Auto. Ein Fahrrad
würde ihrem männlichen Selbstverständnis und ihrem sozialen Status widersprechen. Schwitzend in die Pedale zu treten, mit
gekrümmtem Rücken über dem Lenkrad, ist ihrer nicht würdig. Und auch Frauen fahren kein Fahrrad. Es würde, so ihre |194| feste Überzeugung, die Grazie zerstören. Auf den aufrechten stolzen Gang und das machtvolle Klappern der Stöckelschuhe möchten
sie keinesfalls verzichten. Nur Kinder fahren in Polen Fahrrad, zwischen zwei Wohnblöcken, an den Stadträndern.
Ich komme an einem Ökosupermarkt vorbei. Eine lange Schlange vor den Kassen hat sich gebildet: In den Körben liegen Ökokekse,
Ökofleisch und Ökozucchini. Der deutsche Ökoladen ist nicht mehr grünen Sektierern vorbehalten, er ist in der Mitte der Gesellschaft
angekommen. Man legt Wert auf gesundes Essen. In Polen legt man Wert auf fettiges Essen: auf Fleisch. Gemüse und Salat gibt
es auf der Speisekarte nur als Randerscheinungen. Es gibt keine Ökoläden in Polen. Polen ist eine hundesalon-, fahrradgeschäfte-
und ökoladenfreie Zone. Ich habe in Polen niemanden getroffen, der sie vermißt. Es gibt in Polen auch keine Vegetarier, keine
Mülltrennung, kein Dosenpfand. Es gibt keine Beziehungsexperimente, die bis ins Rentenalter reichen. Es gibt auch keine Rente,
keine Arbeitslosenversicherung, die ihren Namen verdienen. Es gibt keinen nennenswerten Kündigungsschutz.
Polen ist das Gegenteil von Deutschland. Es ist abgrundtief patriotisch, aber niemand kommt auf die Idee, der Staat könne
für ihn sorgen. Deutschland ist vollkommen unpatriotisch, hat aber dem Staatswesen gegenüber heftige Ansprüche. In Polen haben
Frauen keine kurzen Haare. Und Männer haben keine langen. |195| In Polen haben die Straßen Schlaglöcher, in Deutschland nicht einmal mehr in Berlin. Ostdeutschland hängt am Nabel westdeutscher
Subventionen, mit mäßigem Erfolg. Polen ist seit der Wende weitestgehend allein auf sich gestellt. Deshalb sind die ostdeutschen
Länder so traurige
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