Polt - die Klassiker in einem Band
Herr Kollege!“
„Sie haben’s ja wissen wollen. Und ich geh jetzt Kaffee trinken.“
„Danke, jedenfalls, Herr Sedlacek.“
„Bitte.“
Polt hatte die Zeichnung an sich genommen. „Ich schreib mir gleich einmal die Nummer vom Sedlacek auf. Schaut so aus, also würden wir den noch öfter brauchen, in der nächsten Zeit.“ Er blickte auf die große Wanduhr. „Um zehn bin ich bei der Kathi Stirbl eingeladen, eigentlich vorgeladen.“
„Deine Freundinnen werden immer älter, Simon.“
„Um so jünger komm ich mir vor.“
Um zehn betrat Simon Polt Frau Stirbls Haus in Brunndorf und wollte an der Küchentür klopfen.
„Falsch, Simon“, hörte er eine Stimme hinter seinem Rücken, „komm in die Stube.“
„Da schau her!“ Verwundert drehte sich Polt um und folgte Frau Stirbl in einen Raum, den er noch nie betreten hatte. Es roch muffig hier, nach Bodenwachs, Mottenkugeln und Staub. Die Möbel waren aus massivem, dunkel gebeiztem Holz, hinter den Glasscheiben einer Kommode sah Polt altertümliches Porzellan. Um den großen Tisch herum waren fünf Mitglieder des Kühlhausvereins versammelt und schauten Polt stumm entgegen. Frau Stirbl schüttelte mißbilligend den Kopf. „Weil wir schon wieder einmal alles andere als vollzählig sind, vertage ich die außerordentliche Generalversammlung um fünfzehn Minuten. Dann sind wir beschlußfähig.“
Polt suchte sich einen freien Sessel. „War’s nett gestern abend?“
„Gefressen und gesoffen haben sie wie die Wilden. Und heute schauen s’ schon wieder so drein, als könnten sie was vertragen.“
Polt zeigte auf einen Teller, der auf dem großen Tisch stand. Prächtig grünende Weizenhalme umgaben eine weiße Kerze. „Was ist denn das, Frau Stirbl?“
„Der Lucia-Weizen, Simon. Steht normalerweise in der Küche auf einem sonnigen Platz. Aber für heute hab ich ihn hierher gestellt. Am 13. Dezember wird er ausgesät. Eine ganz Wichtige, die heilige Lucia! Hilft bei Augenleiden, Blutfluß, Feuersbrunst, Halsweh, Ruhr und gegen noch so allerhand.“
„Und für wen ist sie zuständig?“
„Da muß ich nachschauen.“ Frau Stirbl stand mühsam auf und holte aus einer Lade ein verschlissenes Büchlein hervor. Sie blätterte. „Da haben wir’s schon. Also: Bauern, Blinde, reuige Dirnen, Glaser, Kutscher, Näherinnen, Sattler, Schneider, Schreiber und so weiter.“
„Also wieder nichts für Gendarmen.“
„Die kommen so und so in die Hölle.“
Schweigen machte sich breit. Dann war Frau Stirbls heisere Stimme zu hören. „Die fünfzehn Minuten sind um.“
Polt schaute zweifelnd auf seine Uhr. „Jetzt schon?“
„Ja, weil es sonst fad wird. – Sind alle dafür, daß der Herr Inspektor erfährt, was wir so gesehen haben, in der Nacht?“
Schweigen ringsum.
„Na dann!“ Frau Stirbl öffnete ein blaues Schulheft. „In der Nacht von Freitag auf Samstag ist gegen zehn ein Funkstreifenwagen vor dem Stelzer stehengeblieben. Ohne Blaulicht. Eineinhalb Stunden waren s’ drinnen, die zwei Gendarmen. Wird eine schwierige Amtshandlung gewesen sein.“
Polt betrachtete den Kunstdruck an der Wand gegenüber. Ein Schutzengel geleitete zwei Kinder über eine erschreckend baufällige Brücke. „Ja, wahrscheinlich.“
„Und später, so gegen elf, ist jemand aus dem Haus von der Karin Walter gekommen und hat ganz allein auf dem Schnee ein paar Walzerschritte gemacht, oder so was Ähnliches. Also, ich möchte sagen, wenn’s nicht unmöglich wär, könnt es doch glatt der Simon Polt gewesen sein.“
Polt schaute Frau Stirbl ins Gesicht, grinste und schwieg.
„Ja, und kurz nach elf sind der Sepp Räuschl und der Friedrich Kurzbacher aus dem Gasthaus gekommen und haben sich Witze erzählt. Also, solche Schweinderln, ich muß schon sagen! Willst einen hören, Simon?“
„Lieber nicht.“
„Weil du sowieso schon alle kennst, nicht wahr? Männer, sag ich, Männer! Aber weiter: Es muß gegen Mitternacht gewesen sein, da ist die Kimmel Maria von einem Auto aufgeweckt worden, besser gesagt, von der Musik, was heißt Musik, wie in einer Fabrik hat’s geklungen. Sie ist zum Fenster, hat nichts gesehen. Und dann war’s auf einmal auch mit der Musik aus.“
„Noch was, Frau Stirbl?“
„Du läßt mich ja nicht ausreden, Simon. Die Maria wohnt in der Nähe vom Kühlhaus, wollt ich noch sagen. Ja, und nach diesem Lärm hat sie nicht mehr so recht schlafen können und hat sich einen bequemen Sessel ans Fenster gerückt. So gegen ein Uhr früh hat sie
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