Polt - die Klassiker in einem Band
Es war eisig kalt geworden, und böiger Wind bewegte kahle Zweige, die sich gegen das Licht der Straßenlampen abzeichneten. Polt ging auf den Hof von Karl Fürnkranz zu. Schon in einiger Entfernung schaute er sich suchend um. Er blieb kurz vor einem verlassenen Haus stehen. Schon vor Jahren war die alte Frau Wurm gestorben, doch ihre Erben wollten nicht verkaufen, das war gegen die Familienehre. Noch nie hatte es ein Angehöriger dieser Familie notwendig gehabt, sich von Eigentum zu trennen. Weil aber auch niemand Geld in das Haus investieren wollte, wurde es allmählich zur Ruine.
Polt ging durch eine schmale Gasse zur Rückseite des Gebäudes. Neben dem großen Tor gab es auch eine kleine Tür. Sie war unversperrt. Leise öffnete der Gendarm, schloß die Tür hinter sich und schaltete die Taschenlampe ein. Das Licht fiel auf einen verwahrlosten Innenhof. Kahle Sträucher wurzelten zwischen geborstenen Bodenplatten, überall lag Gerümpel. Polt ging nach vorn in den Wohnbereich, fand die Küche. Er schaltete die Taschenlampe aus. Von der Straße her fiel ein wenig Licht in den Raum, und der Gendarm entdeckte neben dem Herd eine stabile Holzkiste. Er wischte sie nachlässig ab, setzte sich und schaute durch Spinnweben und graue Vorhangfetzen nach draußen. Schräg gegenüber sah er den Hof von Karl Fürnkranz. Das Fenster links vom Tor gehörte zum Arbeitszimmer des Weinbauern, es war dunkel. Rechter Hand sah Polt Licht im Fenster zu Martins Zimmer, auch den leuchtenden Bildschirm des Computers konnte er erkennen.
Polt wartete.
Gegen acht wurde auch das andere Fenster hell, und ein paar Minuten war Karl Fürnkranz zu sehen, wie er regungslos vor einer seiner Bücherwände stand. Kurz nach halb neun erlosch das Licht in beiden Fenstern. Vater und Sohn saßen jetzt wohl in der Küche beim Abendessen. Später nahm Martin wieder seine Arbeit am Computer auf. Sein Vater war jetzt im Arbeitszimmer, stand am Fenster und schaute in die Nacht. Dann konnte ihn Polt nicht mehr sehen, das vordem helle Licht im Fenster wurde weich und gelb. Karl Fürnkranz hatte wahrscheinlich die Deckenlampe ausgeknipst und saß hinter dem Schreibtisch oder auf einem dieser seltsamen Lederhocker.
Polt wartete.
Er wartete sehr lange. Eine der Fensterscheiben war zerbrochen, und es war in der Küche so kalt wie draußen. Kälte kam auch vom Steinboden her, drang nach und nach durch die Schuhsohlen zu seinen Füßen vor, kroch in ihm hoch. Der Gendarm stand auf, rieb sich die Hände und machte ein paar Schritte. Längst hatten sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt, und er konnte seine Umgebung klar erkennen. Ohne Spinnweben und Schmutz mußte es eine sehr behagliche Küche gewesen sein. Ein großer Herd, eine altmodische Kredenz, hinter deren Glasscheiben Geschirr zu sehen war, ein kleiner quadratischer Tisch und ein Sessel davor. Frau Wurm hatte nach dem Tod ihres Mannes viele Jahre allein hier gelebt und war auch in diesem Haus gestorben. Eine Nachbarin hatte Nachschau gehalten, weil sie abends kein Licht im Fenster sah. Frau Wurm war tot in ihrem Bett gelegen, für immer eingeschlafen, nicht wirklich krank gewesen, aber zu müde, um weiterzuleben. Auf dem Küchentisch stand eine Kaffeetasse, auf dem Herd sah Polt einen großen blau emaillierten Topf und im Abwaschbecken lag Geschirr.
Der Gendarm achtete längst nicht mehr auf die Uhrzeit, als er im Haus gegenüber eine Veränderung bemerkte. Nun waren Vater und Sohn im Arbeitszimmer, sie bewegten sich unruhig, gestikulierten. Das Gespräch, gleichviel ob Diskussion oder Streit, nahm an Intensität zu. Dann war nur noch Karl Fürnkranz zu sehen, der regungslos im Zimmer stand. Minuten darauf erschien Martin im geöffneten Hoftor, schlug es heftig hinter sich zu und ging mit raschen Schritten davon.
Polt beeilte sich, aus dem Haus zu kommen. Um von Karl Fürnkranz nicht gesehen zu werden, rannte er ein Stück Weges die Rückseite der Höfe entlang, erreichte die Hauptstraße und sah erleichtert in einiger Entfernung Martin Fürnkranz auf den Ortsrand zugehen. Außer Atem, doch nun langsamer, folgte er ihm. Als Polt bemerkte, daß Martin in einen Güterweg einbog, der zur Brunndorfer Kellergasse führte, ging er rascher und hatte bald aufgeholt. Der Verfolgte hörte Schritte hinter sich, drehte sich kurz um, erkannte Simon Polt und ging weiter. Bald gingen die beiden schweigend nebeneinander her. Dann sagte Polt doch etwas: „Wohin, Martin?“
„Irgendwohin. Nur weg. Ist
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