PopCo
ich Verbindung zum Festland habe, ich bin die Neue, obwohl ich schon
fast zwei Jahren dort arbeite, die Außenseiterin, obwohl ich unwiderruflich dazugehöre. Und obwohl ich ständig auf der Flucht
bin vor den anderen und ihrer Coolness, führt das häufig nur dazu, dass ich mich am Anfang oder Ende irgendeines Zyklus oder
Turnus wiederfinde, in dem alle anderen gerade mittendrin stecken. Ich könnte wetten, dass sie nächstes Jahr alle Bluse, Rock
und Pulli tragen und sich die Haare zu ordentlichen Zöpfen flechten. Ich laufe dann wahrscheinlich wie eine Studentin aus
Tokio herum, was gerade im Moment hip ist, oder ziehe mich an wie eine Astronautin auf Drogen, was übernächste Saison angesagt
sein könnte. Mit den PopCo-Leuten steht man vor einem ständigen Dilemma. Wenn man so aussieht wie sie, gehört man dazu; aber
wenn man sich völlig anders anzieht oder Sachen trägt, die so peinlich sind, dass sie sich niemals darin blicken lassen würden,
dann gilt man als cool, mutig und individuell – und gehört folglich auch dazu. Eine unentrinnbare Zwickmühle: Wie sollman sich als unangepasst stilisieren, wenn alles, was man tut, immer nur dazu führt, dass man doch dazugehört? Wenn wir alle
noch Kinder wären, wäre es sicher leichter, dagegen zu rebellieren. Andererseits: Wenn wir alle noch Kinder wären, wollte
ich wahrscheinlich sogar dazugehören.
Morgen Mittag beginnt die PopCo Open World (P.O.W. oder einfach POW), eine jährliche Veranstaltung, die diesmal im firmeneigenen
«Inspirations-Camp» in Devon stattfindet. PopCo ist der drittgrößte Spielzeughersteller der Welt, nach Mattel an erster und
Hasbro an zweiter Stelle. Es gibt Niederlassungen in Japan und den USA und eine etwas kleinere hier in Großbritannien. Jedes
Land hat sein eigenes I D-Team , aber die richtig abgefahrenen Ideen entstehen in den vier großen Inspirations-Camps in Schweden, Island, Spanien und Großbritannien.
Wir haben alle schon von dem Anwesen in Devon gehört, die wenigsten haben es aber bisher mit eigenen Augen gesehen. Und da
die jährliche POW sonst immer an besonders coolen Orten stattfand, waren alle etwas erstaunt darüber, dass wir dieses Jahr
einfach in ein PopCo-Haus auf dem platten Land fahren. Normalerweise werden für diese Veranstaltung keine Kosten und Mühen
gescheut; dieses Jahr dürfte sie vergleichsweise gar nichts kosten. Mich macht das ehrlich gesagt eher neugierig, und der
Gedanke, zwei Tage in Devon zu verbringen, gefällt mir auch, aber in Battersea waren in den letzten Wochen immer nur Bemerkungen
im Stil von «Na, wie Asmara wird’s ja wohl nicht werden» zu hören. Asmara liegt in Eritrea und war der Schauplatz der letzten
POW. Ein ziemlich bizarres Erlebnis: Wir besichtigten gerade eine der örtlichen PopCo-Fabriken, als schwere Unruhen losbrachen;
mit dem Ergebnis, dass wir umgehend ausgeflogen werden mussten.
Die meisten Leute denken bei «Spielzeughersteller» an Plüschtiere und Buchstabenbauklötze aus Holz, vielleicht auch an Elfen,
die in einer Art vorindustriellen Version derWeihnachtsmannwerkstatt herumhämmern und -sägen , mit Puppen, Bauernhoftieren und Puzzlespielen durch die Gegend trippeln und sie in große Säcke verstauen, um sie adretten
Kindern zuzustellen, die vor dem Kamin im Wohnzimmer darauf warten. Bei heutigem Spielzeug geht es aber eher um Fastfood-Gimmicks,
Begleitartikel zu Kinofilmen, Interaktivität, Mehrwert und Super-Branding und natürlich um Fokusgruppen, die durch Einwegspiegel
beobachtet werden. Die Buchstabenbauklötze, die die meisten Spielzeugfirmen immer noch herstellen, werden inzwischen angeblich
nach einer mathematischen Formel entworfen, die genau vorgibt, wie oft und in welchem Verhältnis die einzelnen Buchstaben
auf den einzelnen Klötzen erscheinen müssen, damit die Kinder auf jeden Fall mehr als ein Set benötigen, um Wörter bilden
zu können. Ich habe keine Ahnung, ob das tatsächlich stimmt, aber ich wüsste schon eine Gleichung, mit der es möglich wäre.
Angeblich soll einmal jemand vorgeschlagen haben, solche Gleichungen auch bei PopCo einzusetzen, was eine sofortige Kündigung
zur Folge hatte. Auch da weiß ich nicht, ob die Geschichte wirklich stimmt. Die Firma PopCo hat zwar noch keine hundert Jahre
auf dem Buckel, verfügt aber über einen größeren Sagenschatz als mancher Kleinstaat. Und über ein größeres Bruttoinlandsprodukt.
Bei den anderen führenden
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