Porträt eines Süchtigen als junger Mann
ausgerichtet sind, Schäden zu begrenzen, mich zu schützen und mir zu verschaffen, was ich zu brauchen meine.
Die Rückkehr ins Verlagswesen scheint ausgeschlossen. Das kommt mir wie verbrannte Erde vor, die kein Leben mehr birgt. Aber ich irre mich. Eine Frau, die ich Jahre zuvor einmal auf einer Party getroffen hatte, verabredet sich mit mir zum Mittagessen, und bei diesem Mittagessen bietet sie mir einen Job an. Sie redet von Mut und großen Kräften und keinen weiteren Schäden, und schon während wir essen und Kaffee trinken, gewöhne ich mich an den Gedanken. Die ersten Tage des Neuanfangs sind beängstigend, aber nicht mit früher zu vergleichen. Die jahrelange Sorge, man könnte mich als Blender entlarven, ist nicht mehr da. In meinem neuen Büro vertrete ich nur eine einzige Autorin – Jean, die, als ich ihr sagte, ich wolle wieder arbeiten, ihrem renommierten Agenten schrieb, sie möchte sich von jemand anderem vertreten lassen. Als ich an jenem Tag durch die blitzende Tür der Agentur trete, denke ich bei mir, falls dies dein letzter Tag ist und Jean deine letzte Klientin, trag es mit Fassung – der Himmel stürzt davon nicht ein, es soll dann eben nicht sein. Zum Glück ist es aber nicht mein letzter Tag. Ich bin immer noch im selben Büro und habe andere Klienten zu Jean hinzugewonnen.
Lange noch höre ich Noah verzweifelt mit mir reden, wie so oft – durch verschlossene Türen, von der anderen Tischseite, am Telefon. Jeder Abend im Knickerbocker bleibt mir in Erinnerung, jedes Glas extra, das ich hinuntergeschüttet habe, wenn er zur Toilette ging. Ich erinnere mich, wie er zur Familienwoche raus nach Oregon kam; wie er mit seinem Bart und seiner grauen Druckknopfjacke auf dem Parkplatz stand, so sauber, vertrauenerweckend und voll Liebe. Ich erinnere mich, wie froh ich immer war, dass er mich nicht verließ. Ich erinnere mich, wie er mich das letzte Mal mit seinen schönen Händen hochgezogen hat und wie ich nach vorn gefallen bin, weil ich schließlich doch allein durch die Tür musste.
In dem Jahr, bevor ich wieder anfange zu arbeiten, rufe ich mindestens ein paarmal die Woche meinen Vater an, oft morgens, wenn ich am Hudson River in einem prächtigen Park spazieren gehe, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass es ihn gab. Wir reden zum ersten Mal seit Jahren miteinander, und ich kann immer nur staunen. Bei unserem ersten Gespräch bin ich noch in White Plains. Das Telefon klingelt, ich nehme ab, und er ist dran.
Willie
, sagt er nach einer Weile und unter Tränen,
es tut mir leid
. Er sagt mir alles, an was er sich erinnert, und ich höre still zu und bin froh, dass ich mir nicht alles nur ausgedacht hatte. Ich sage ihm, dass er für meinen Aufenthalt in der Entziehungsklinik nichts kann, dass die Probleme meiner Kindheit nicht die Ursache dafür sind, sondern nur dazu beigetragen haben. Bei diesem Telefonat bleibt die Zeit stehen; ich möchte es hinter mir haben, und ich möchte, dass es nie aufhört.
Im Oktober jenes Jahres lädt er mich ein, in seiner Cessna mit ihm von Connecticut nach Maine zu fliegen. Der kleine Flugplatz ist nicht weit von dort, wo wir gewohnt haben, wenige Minuten von meiner Highschool entfernt. Ich hatte vergessen, wie laut, wie leicht kleine Flugzeuge sind, und wie mein Vater sich mit ihnen auskennt. Seine Hände gleiten zielbewusst über die gleichen Instrumente, Schalter, Lichter und Klappen, mit denen er hantiert hat, als ich klein war, und die mir noch genauso ein Rätsel und genauso unergründlich wie damals sind. Wir fliegen von einer Wiese ab, die als Rollbahn dient. Wir schüttern dahin, wie kleine Flugzeuge das eben tun, und in dem Bruchteil einer Sekunde, der einem immer wie verzaubert vorkommt, heben wir vom Boden ab und steigen rasch höher und höher, über die Ortschaften und Schulen und den bunten Moder des Herbstes hinaus. Das Dröhnen des Motors und der Wind lassen kein Gespräch zu. Auf meinen Knien liegt ein Stoß Karten. Umhergeworfen in der Luft über den Feldern und Bergen und Straßen, wo alles geschah, schweigen wir beide.
Die Mulde
Er ist knapp zwei. Kann laufen. Pausbäckig, fröhlich, isst alles, was man ihm vorsetzt, und will immer noch mehr. Versinkt in Träumereien und neigt zu Anfällen unbändigen Gelächters. Seine Schwester ist dünn und blond, sein Vater dunkelhaarig und riecht nach Tabak, seine Mutter ist alles, was an Farbe, Gestalt und Duft dazwischenliegt. Sie hat tiefblaue Augen. Sie pflanzt Blumen,
Weitere Kostenlose Bücher