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Portugiesische Eröffnung

Portugiesische Eröffnung

Titel: Portugiesische Eröffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Siler
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rückwärts, sondern vorwärts gehen. Damit man mir vergibt.
     
    Nizza
    6. Januar 1969
     
    Liebe Emilie,
     
    ich habe es getan. Ich weiß, du hast geglaubt, ich würde es nicht durchhalten. Ehrlich gesagt, ich habe auch nicht geglaubt, dass ich es schaffe. Aber ich kann sie nicht aufgeben. Ja, es wird ein Mädchen. Angeblich kann man es nicht wissen, aber ich weiß es dennoch.
    Es war nicht schwer, Ed zu finden. Die Côte d’Azur ist ein Dorf. Er und seine Freunde waren in St. Tropez vor Anker gegangen, wie Papa prophezeit hatte. Als ich dort ankam, waren sie aber schon nach St. Raphael weitergefahren.
    Zuerst wollte er nichts mit mir und dem Baby zu tun haben, aber ich drohte, zu seinen Gastgebern gehen, falls er die Papiere nicht unterzeichnete. Damit hätte ich ihm das Leben ganz schön schwer machen können.
    Zuerst schämte ich mich, weil ich ihn belogen habe. Er glaubt wirklich, das Baby sei von ihm. Aber Papas Scheck hat ihn überzeugt, und der war sehr viel mehr wert als Eds Name und Nationalität auf einem Stück Papier. Ed ist kein schlechter Mensch, nur würde er für Geld so ziemlich alles tun.
    Ich kenne dich. Du denkst sicher, es sei nicht richtig, aber ich hoffe, du verstehst mich trotzdem. Wenn nicht, wirst du mir hoffentlich verzeihen. Nur so kann ich sie behalten.
    Selbst du musst zugeben, dass ich recht hatte. Der Angriff in Athen und die Bombardierung des Flughafens beweisen nur, was ich schon die ganze Zeit gesagt habe. Das Tauziehen zwischen den Israelis und den Palästinensern hat gerade erst angefangen, und für uns ist dort kein Platz, es gibt keine Zukunft für ein Mädchen mit einer christlichen Mutter und einem muslimischen Vater. So wie es auch für Sabri und mich keine Zukunft gibt.
    Bitte sage Maman, dass ich sie liebe. Sie weiß von nichts, und ich vertraue darauf, dass du es ihr auch nicht sagst. Ihr guter Ruf ist ihr so wichtig. Es ist schwer genug für sie, mit meiner Entscheidung zu leben. Stell dir vor, wie wütend sie auf Papa wäre, weil er mir geholfen hat.
    Morgen früh fahre ich nach Paris. Bitte mach dir keine Sorgen. Marie Haziz ist dort – sie hat die fünfte Violine im AUB gespielt –, und ich kann bei ihr bleiben, bis ich auf eigenen Füßen stehe. Ich schreibe dir bald wieder.
     
    Alles Liebe,
    Mina
     
    Dies war also der erste Brief. Zuerst geschrieben, zuletzt gelesen. All die Jahre hatten mein Großvater und meine Tante Bescheid gewusst und zusammengehalten, um das Geheimnis zu bewahren.
    Was hatte mein Vater gesagt? Regel zwei: Am leichtesten betrügt man die, die sich für besonders schlau halten.
    Ich legte den Brief beiseite und betastete den ramponierten Pass in meiner Tasche. Der Pfusch, die schlechte Arbeit, ein weiterer Beweis für das, was ich schon immer hätte wissen sollen: dass Ed Blake nicht mein Vater war.
    Der Barkeeper kam zu mir. Einen Moment lang wusste ich nicht, wo ich war, welche Sprache ich sprechen musste. Einen Monat unterwegs, keine drei Tage am selben Ort, da ging mir nichts mehr leicht über die Lippen.
    Im Fernsehen wiegten sich zerfranste Palmen vor der Festung des Präsidentenpalastes. Die Lichter in den Hochhäusern am Tigris brannten noch, und selbst aus der Distanz konnte man die Menschen hinter den Fenstern erkennen. Man sollte sie alle zwingen, das zu tun, hatte meine Mutter in einem der späteren Briefe geschrieben, nachdem sie eine Nacht bei ihrer Nachbarin verbracht und geholfen hatte, die vier kleinen Kinder zu trösten, während um sie herum die Granaten einschlugen. Ein Kind in ihren Annen zu halten. Nur so kann man es verstehen.
    Ja, dachte ich, es ist eine Sache, aus der Ferne mit dem Krieg zu rechnen, auf ihn zu warten, wie wir es in den vergangenen Tagen getan haben, im Fernseher die Skyline von Bagdad zu sehen, die Silhouette von Saddams gewaltigem Palast, die Straßen ins grüne Scheinwerferlicht getaucht. Es ist eine Sache, die stille Stadt zu betrachten, in der Autos in den frühen Morgenstunden unterwegs sind. Kranke Kinder, gebärende Frauen, Männer, die von der Spätschicht nach Hause fahren.
    Wir, die Zuschauer, werden erleichtert sein, wenn die Kämpfe beginnen, weil dann endlich etwas passiert. Dazu das Spektakel, das grelle Licht und Geschnatter des Todes, seine Schönheit. Wie der Geier mit seinen Onyx-Schwingen.
    Doch dabei zu sein, in seine riesigen Flügel gehüllt zu werden, ist etwas völlig anderes.
    Ich bin jeden Tag dankbar, dass Nicole in Sicherheit ist. Wie oft hatte meine Mutter das

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