Poseidon - Der Tod ist Cool
wahrscheinlich noch mit ihr!“
Knopfler.
Clemens Knopfler brachte meine Mutter ins Spiel.
Das Zentrum meines Lebens.
Nie werde ich diesen großmäuligen Wichser vergessen, seinen stinkenden Atem, seine Pickel und den Geschmack seines Blutes, als ich ihm mit meinen Zähnen den Hals aufriss. Seine Schreie, die mir ungefiltert ins Ohr drangen, kurz bevor ich vor Atemnot zusammenbrach und zu ersticken drohte, zitternd am Boden lag, wehrlos, wie ein auf dem Rücken liegendes Insekt. Den außerirdischen Schmerz, welcher mich durchtränkte, als er mir den Haselnussstecken in mein Auge trieb. Das knirschende Geräusch, als es aufplatzte, um dann wie Regen auf den Asphalt zu tropfen, ein kurzer Schauer, der alle Farben fortschwemmte und nichts als Dunkelheit zurückließ.
An diesem Nachmittag verlor ich nicht nur mein linkes Auge, sondern auch mein Asthma – ich hatte nie wieder einen Anfall. Doch das Mal des Versagers eitert bis heute in meinem Innern. Die Angst, einhundert Prozent wären zu wenig, weshalb ich einhundertzwanzig gebe. In allem extrem, ständig die Gratwanderung zwischen Absturz und Wahnsinn, in der Hoffnung, den Absprung zu schaffen, diese gewaltige Kluft, von der Vergangenheit mit breitem Grinsen in mein Hirn geschlagen, zu überwinden, um sanft zu landen.
Aber was käme danach?
Ruhe?
Stille?
Wohl eher Einsamkeit.
Die Einsamkeit, die jeder Versager unweigerlich als Schatten mit sich herumträgt, ihn zum Einzelgänger macht. Sogar unsere Schatten sind dünner und blasser, als bei anderen.
Mein Schatten ist dünner und blasser.
Lebloser.
Kraftloser.
Es gab Zeiten, da arbeitete ich Nachts, in der Hoffnung, im Dunkeln würde er verschwinden, die Schwärze um mich würde ihn verschlingen. Aber er mundete ihr nicht; er hatte den falschen Geschmack, die falsche Farbe.
So klebt er wieder an mir.
Stinkend.
Wie Erbrochenes.
Deshalb lenke ich von ihm ab – mit meiner Körpermasse, meinem Auftreten, meinem ganzen Habitus. Tief in mir schreit eine Stimme. Spuckt Geschichten aus, von denen ich nur Fragmente verstehe und meine Unruhe und Einsamkeit verstärkt. Manchmal wirft die Wand um mich herum deren Widerhall in Millionen Puzzlestücken zurück, ein Cluster, das langsam zu einem Ganzen zusammenfließt. Doch um den Code zu entschlüsseln, sind zwei Augen nötig, mit einem finde ich den Ausgang nicht.
Wie viel Zeit bleibt, um zu springen?
Sanft zu landen?
Wo ist sie, die Ruhe ohne Einsamkeit?
“I'm the one that's gonna die when it's time for me to die.
So let me live my life the way I want to…”
Ich wüsste gerne, was mein wirkliches Leben ist. Jimi, du hattest deines gefunden, auch wenn es kurz war.
Er schloss sein Auge.
Das Gitarresolo von Hendrix kappte das Tau, an dem seine Erinnerungen sich nach oben hangelten.
Frenzel schlief traumlos ein.
Zum letzten Mal.
12. Kapitel
Der Motor des Ferraris heulte wie ein Rudel Wölfe. Er fuhr zum sechsten Mal die Flaniermeile der Stadt entlang, vorbei an dem kleinen italienischen Restaurant, in dem Frenzel auf der Terrasse saß und aß. Er schüttelte den Kopf. Mike, der alte Lude, bewies mal wieder der ganzen Welt, wo der Hammer hing.
Frenzel war nach drei Stunden Schlaf aufgewacht und hatte den damit verbundenen Energieschub für einen guten Workout im Studio genutzt.
Seine Gedanken klärten sich, ordneten sich.
Langsam.
Er genoss die Tagliatelle mit Rinderfiletspitzen und Spinat, die frisch dampfend auf seinem Teller lagen, dazu frisches Weißbrot und Mineralwasser. Er ging gerne in´s
Padrone
– die Küche und der Service waren genau nach seinem Geschmack. Frenzel beobachtete die Ameisenstraße der Schaulustigen und Zeigefreudigen, die geschäftig ihre Bahnen zogen. Er konnte stundenlang dasitzen und diesem sinnlosen Gebalze zusehen – bemerkte aber, dass das Publikum in den letzten Jahren an Klasse verloren hatte. Früher gab es mehr Paradiesvögel, Individualisten, Exzentriker. Wie auch immer, der schlanke Typ Ende Zwanzig mit den kurzen dunklen Haaren und den ebenmäßigen Gesichtszügen zog Frenzels Aufmerksamkeit auf sich. Er floss ätherisch durch die Menge, flimmernd, spielerisch.
Frenzel hatte seit Wochen keinen Sex mehr und dies wurde ihm in diesem Moment bewusst. Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, unschlüssig, ob er den jungen Mann ansprechen sollte. Die Entscheidung wurde ihm von anderer Seite abgenommen – ein Kerl begrüßte ihn mit Umarmung und beide verschwanden Hand in Hand im Strom der
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