Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
zu hören. Denn nachdem die Zwillinge eingeschlafen waren, hatte Witkin mühsam und erregt mit Matitia geschlafen, während ihnen der Reißverschluß des Schlafsacks in die Arme zwickte. Der neue Geruch des Zelts, seine im Traum wimmernden Kinder brachten sein Blut in Wallung. Er stemmte sich auf den harten Boden. Der Wind bewegte die Bäume, er packte das lebendige Haar seiner Frau und keuchte auf seinen phosphoreszierenden Schein.
    Geräusche vor dem Zelt weckten ihn nachts mehrmals auf, aber wenn er sich in Unterwäsche vor die mit einem Reißverschluß versehene Fliegentür kniete und mit der Lampe ins Dunkle leuchtete, konnte er nichts entdecken. Wenn er die Taschenlampe ausknipste, wirkte das Dunkel ungeheuerlich und zeitlos.
    Am Morgen wollte Matitia zurückfahren.
    »Wegen Kims Schlafsack. Weil ich ein Bad brauche. Weil ich kaum geschlafen habe. Ich bin gerädert. Später mal«, sagte sie. »Später mal, wenn das Häuschen fertig ist und wir drinnen schlafen können. Das Zelt ist unheimlich, und die Kinder sind noch zu klein. Und ich rieche wie ein Räucherhering.«
    »Ich bin groß genug«, rief Kevin.
    »Noch nicht, Liebling«, entgegnete Matitia.
    »Wir kommen wieder«, sagte Witkin. »Keine Sorge, Babybabylein.«
    »Sag nicht so zu mir! Den Babynamen kann ich nicht leiden!«
    Aber sie kamen nicht wieder, und darum nahm er seinen Halbbruder mit. Im Nieselregen rissen sie die Zuckersiederei ab und verbrannten die verfaulten Bretter. Larry machte den Sekt auf, und sie wankten um das stinkende Feuer.
    »Hu-hu-hu«, sagte Larry. Seine steifen Jeans waren schlammverschmiert. Seine Jagdmokassins rutschten auf dem nassen Laub. Witkin erkannte in Larrys schwarzem Haar mit dem roten Schimmer, in den kleinen, wulstigen Lippen, die zwei rosa Kapseln ähnelten, etwas von seinem Vater. Aber nichts von sich selbst. Sie hätten Bekannte sein können.
    Die ganze Woche über redete Witkin mit Patienten über sich schuppende Haut, Muttermale, die aus Fleischfalten blinzelten, gerötete, krebsige Ohren von Straßenarbeitern, Ausschläge und Jucken, Nesselfieber und Gürtelrose, Feuermale, und beim Reden zeichnete er auf seinem Schreibtisch, geschützt von den Fotos von Matitia, Kevin und Kim in dem dreiteiligen, zusammenklappbaren Bilderrahmen. Er skizzierte eine rustikale Blockhütte mit kleinen Fensterscheiben. Er wollte eine Veranda, so lang wie das ganze Gebäude, an der Ostseite, der Hitze der Sonnenuntergänge an Sommernachmittagen abgewandt, heiter am Morgen, ein Platz zum Kaffeetrinken. Dort ein Stiefelabkratzer. Er hatte den Stiefelabkratzer seit Jahren unbenutzt in der Garage stehen, wartete nur auf eine hölzerne Veranda. Sorgfältig zeichnete er die Enden der Holzstämme mit Schwalbenschwanzkämmen. Zwei Stufen führten die Veranda hinauf. Eine Bohlentür mit einem schmiedeeisernen Riegel. Er zeichnete zwei Tannen, eine auf jeder Seite der Hütte, obwohl sich das Terrain in einem Ahornwald befand. Die Tannen standen auf der anderen Seite des Hügelkamms, wo es keine Straße gab.
    Die Inneneinrichtung zu zeichnen war herrlich. Er skizzierte Balken, einen Kamin, in dem Flammen aufloderten, einen Couchtisch aus dicken Holzstämmen. Über den Kamin hängte er ein Zehnendergeweih, ein Gewehr, und daneben setzte er ein Gemälde mit zwei Jägern in einem Kanu, die auf einen Elch zielten.
    Larry lächelte, als er ihm die Skizzen zeigte. Aber seine Miene war nicht unfreundlich.
    »Wo ist die Küche? Kein Spülbecken, kein Kühlschrank, keine Schränke. Das ist ein bißchen unpraktisch, Frank. Der Kamin gefällt mir, aber in einem Kamin kannst du nicht kochen, es sei denn, du steckst alles auf einen Spieß. Hast du schon mal Pfannkuchen auf einem Spieß gemacht? Was wir brauchen, ist ein Herd. Du wirst es nicht glauben, aber ich habe einen Herd. Ein schönes Stück, quadratisch, ein dunkelgrüner Emailwürfel. Ein Kunstwerk. Kommt aus Darmstadt. Ein Händler in Darmstadt hat es mir geschickt. Ich habe ihn um eine Arbeit von diesem komischen Kerl gebeten, Joseph Beuys. Ich habe, besser gesagt, ich hatte eine Kundin, sammelt deutsche Nachkriegskunst, hatte von Beuys gehört, wollte ein Stück von Beuys, irgend etwas, wollte es sofort herübergeschifft haben. Hatte aber überhaupt keine Ahnung vom Werk des Mannes. Der Händler hat den Herd geschickt. Er ist mit riesigen Talgklumpen überzogen. Der Mann arbeitet mit Talg, Fett. Ich habe das Ding der Kundin liefern lassen. Sie wohnt in Boca Raton. In der Woche drauf läutet das

Weitere Kostenlose Bücher