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PR 2661 – Anaree

PR 2661 – Anaree

Titel: PR 2661 – Anaree Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Anton
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Morgenschwester,
    Doch sie starb nicht. Sie wusste nicht genau, was nun geschah, doch sie hatte den Eindruck, dass sie eins wurde mit dem Gespinst.
    Sie konnte es nicht beschreiben. Sie spürte eine gewisse Affinität, eine schreckliche Verbundenheit, ein widerwärtiges Zugehörigkeitsgefühl.
    Im nächsten Augenblick war der Spuk vorbei. Das Gespinst gab sie frei, zog sich zurück und löste sich auf.
    »Du hast bestanden«, sagte die Morgenschwester sachlich. »Das Gespinst akzeptiert dich. Du bist geeignet für das, wofür ich dich vorgesehen habe.«
    Mehrere Fragen brannten Anaree auf der Zunge, doch sie konnte nur eine nach der anderen stellen. Sie entschied sich für: »Was ist das Gespinst?«
    Die Morgenschwester sah sie an. Bedauernd, fast mitfühlend, wie Anaree glaubte.
    »Das Hypergespinst ist ein multifunktionaler Kampfkokon«, sagte sie dann. »Es stammt aus der Schmiede eines Hilfsvolks unserer aller Herren, der Kosmokraten. Vielleicht haben die Algorrian es konstruiert oder die Porleyter, die Baolin-Nda, die Metaläufer ... Jedenfalls musst du lernen, es zu beherrschen, damit du für mich kämpfen und sterben kannst.«
    Die Morgenschwester nickte ihr zu, machte ein paar Schritte und verschwand abrupt.
    Anaree versuchte gar nicht erst, sich zu orientieren. Sie ging einfach los, und nach wenigen Metern nahm die Sonne am Himmel ihre gewohnte Position ein, und die Farbe der Gräser und die Arten der Sträucher waren wieder die, die Anaree von der Ebene her kannte, die das Tagvolk ihre Heimat nannte.
    Nur Minuten später erreichte sie erleichtert das Dorf des Tagvolks.

4.
    Das Juwel
     
    Von nun an kam die Morgenschwester regelmäßig ins Dorf des Tagvolks. Nicht jeden Tag, aber fast jeden zweiten oder dritten.
    Und jedes Mal nahm sie Anaree mit in die anderen Bereiche und zeigte ihr Welten, von denen sie nicht einmal geahnt hatte, dass es sie gab.
    Am bedrohlichsten kamen Anaree anfangs die Welten aus Stahl und Kunststoff vor, die engen Gänge, kleinen Räume, aber auch die hohen Hallen und großen Säle mit ihren summenden, flüsternden und stampfenden Maschinen.
    »Das ist das Raumschiff LEUCHTKRAFT«, erklärte die Herrin des Tagvolks. »Nicht überall sieht es so aus wie hier, aber an vielen Orten.«
    Doch sie zeigte Anaree auch andere Bereiche, kleine Welten wie die, in denen sie groß geworden war. Urwälder, Sand- und Eiswüsten, Wasser- und Wolkenwelten, in denen Wesen lebten, die manchmal fast wie das Tagvolk, manchmal aber auch ganz anders aussahen.
    »Gibt es viele Welten wie die des Tagvolks in der LEUCHTKRAFT?«, fragte sie eines Tages.
    Die Morgenschwester bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. »Ja.«
    »Wir sind also nichts Besonderes. Es könnte Dutzende von Völkern geben, die so ähnlich sind wie wir ...«
    »Dutzende?« Die Herrin des Tagvolks lachte leise auf. »Ja, Dutzende.«
    Immerhin verstand Anaree nun nicht nur, dass sie sich in einem Raumschiff befand, sondern auch, was ein Raumschiff war. Es war wie bei der Gravitationskonstante. Diese Begriffe mussten nur fallen, und kurz darauf verstand Anaree sie. Als wäre Wissen in ihr gespeichert, das nur durch ein Kodewort abgerufen werden musste. Eine Enzyklopädie, ein umfassender Schatz des Wissens, der aktiviert worden war, als Anaree auf den Baum geklettert war, und nun bei Bedarf freigesetzt wurde.
    Beim nächsten Rundgang durch die LEUCHTKRAFT stellte die Morgenschwester Anaree dann den kleinen Mann vor.
     
    *
     
    Anaree entsann sich, dass Tara Marate von »kleinen Männern« gesprochen hatte. Sie würden ihr eigenes Spiel treiben, hatte er behauptet, wie alle an Bord der LEUCHTKRAFT. Sie hatte sich kurz gefragt, was der alte Jäger damit gemeint hatte, und nicht weiter darüber nachgedacht, weil seitdem so furchtbar viel auf sie eingestürmt war.
    Der Mann war nicht nur klein, nur gut zwei Drittel so groß wie sie. Er reichte ihr gerade bis zum Bauch. Er war alt und nicht alt. Er war verhutzelt wie der betagteste Greis des Tagvolks, den Anaree je gesehen hatte, bewegte sich allerdings nicht wie ein alter Mann. Seine Haltung war straff, seine Bewegungen waren voller Spannkraft. Er wirkte austrainiert und schien körperlich voll auf der Höhe zu sein.
    Und er war irgendwie ... verzerrt. Seine knochendürre Gestalt schien nicht richtig zusammengesetzt zu sein. Die Proportionen ähnelten den ihren zwar so sehr, dass sie ihn nicht gerade mit Verstörung betrachtete, aber sie waren auch so fremdartig, dass sie keinen

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