Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
PR 2685 – Der ARCHITEM-Schock

PR 2685 – Der ARCHITEM-Schock

Titel: PR 2685 – Der ARCHITEM-Schock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
Vom Netzwerk:
Schiffsbesatzungen, die ganz vorn an der Front stehen werden. Sie haben nicht das Glück wie ich, weit vom Brennpunkt entfernt zu sein.
    »Wir fangen ein, was sich in unmittelbarer Sonnennähe verändert«, erklingt die Stimme einer Sprecherin aus dem Off. »Die Übertragung steht nach kleineren technischen Schwierigkeiten. Wir sind in die optische Überwachung eines Schweren Kampfkreuzers der PLUTO-Klasse eingebunden. Das Schiff ist die DON REDHORSE, sie gehört zur Wachflotte.«
    Was ich sehe, ist nicht mehr nur Schwärze, ist fremd und schwer zu beschreiben. Die Fimbul-Kruste um die Sonne verändert sich. In einem größer werdenden Bereich wirkt sie ...
    ... durchsichtig wie mattes Glas.
    Unter der Fimbul-Kruste brodeln meiner Meinung nach Protuberanzen, eine Helligkeit, die mich ohne dämpfende Filter schlagartig blenden müsste. Doch stattdessen ist da ein undefinierbares Flimmern und Flirren, von dem ich nicht einmal zu sagen vermag, ob es unmittelbar unter der transparenten Schicht liegt oder Zigtausende von Kilometern entfernt.
    »Was ist das?« Irp tippelt einige Schritte auf die Projektion zu, wendet sich zu mir um, schaut wieder auf die Übertragung. Seine Unruhe ist unverkennbar. »Mutter ...?«
    »Ich weiß es nicht«, beantworte ich sein Drängen. »Das muss dir genügen! Hör zu, was die Sprecherin sagt! Das da sollte unsere Sonne sein, wenigstens ein kleiner Ausschnitt ihrer Oberfläche ...«
    ... aber sie ist es nicht. Ich habe keine Ahnung, warum. Die Sprecherin schweigt jedenfalls, nur ihr hastiges Atmen ist zu hören. Im Hintergrund aufgeregt klingende Stimmen, die ich weder Augenklar noch dem Schweren Kampfkreuzer zuordnen kann.
    Ein Reigen aus Farben tobt unter der Kruste.
    Farben, von denen ich glaube, dass ich sie nie zuvor gesehen habe, vermischen sich mit der Palette des Regenbogens, wirbeln durcheinander. In jähen Eruptionen brechen sie auf – ein blutig schimmerndes Gold, Dutzende Abstufungen von Gelb, sogar Weiß in vielen Variationen als eigenständige Farbe und nicht als Mischung bekannter Nuancen –, regnen unter der Kruste ab und verwirbeln in unergründlicher Tiefe. Wo sie verschwunden sind, steigen neue verwirrende Schattierungen auf. Zwittergrün. Dazu ein Blau, so leuchtend, als kristallisiere sich darin die Ewigkeit. Zeitblau, geht es mir durch den Sinn.
    Sind das Protuberanzen und Sonnenflecken, die durch die Fimbul-Kruste hindurchschimmern? Plages und dunkle Filamente, die hellen Gebiete von Fackeln ebenso wie die stachelartigen Spikulen an den Rändern der Supergranulationszellen? Mein Wissen über den Sonnenaufbau erschöpft sich, dennoch bin ich sicher, dass es so ist, dass die Sonnenatmosphäre gegen ihr Gefängnis anbrandet und dabei in einen Prozess steter Umwälzung gerät.
    Das unglaubliche Farbenspiel kann nur Ausdruck der chemischen Zusammensetzung in der Photosphäre sein: Wasserstoff und Helium, Eisen, Neon, Magnesium, Schwefel ...
    Ich sollte den Spenta mehr Aufmerksamkeit schenken: Die Umgebung, in der sie existieren, scheint phantastischer zu sein als alles, was wir Menschen uns vorstellen können. Vielleicht sehen wir die Fremden zu eindimensional, wenn wir sie als Mörder unserer Sonne bezeichnen. Sie sind keineswegs nur unsere Gegner. War das nicht der Tenor der ersten Berichterstattungen? Wenn ihre Welt so unbeschreiblich schön ist, verstehe ich, dass sie den Korpus der toten Superintelligenz in der Sonne als Sakrileg empfinden. Leider begreifen sie nicht, was sie uns mit ihren Aktionen antun, oder sie wollen nicht begreifen. Dabei könnten wir friedlich nebeneinander leben.
    Wir hätten es gekonnt.
    Könnten wir es selbst nach allem, was geschehen ist? Nein, die Gelegenheit ist längst vertan. Wenn die Waffen sprechen, dann vor allem, weil wir überleben wollen.
    »Wir wissen nach wie vor nicht, was geschieht«, meldet sich die Sprecherin endlich.
    Was sie stockend sagt, interessiert mich nicht mehr. Hauptsache, wir bekommen unsere Sonne zurück.
    Ich bin versucht, die Trivid-Projektion zu löschen. Ich will die berauschende Farbenwelt nicht länger sehen, denn dafür ist es zu spät. Wenn ich es recht bedenke, seit dem 30. September, dem Tag, an dem die Sonne starb.
    Irp wimmert.
    Nein, er singt, aber er klingt ängstlich.
    »... die Zeit wird verwehen und der Raum zerbricht. Tot ist die letzte Sonne, alles Leben erloschen. Vergebens die Frage nach dem Warum. Es gab nie eine Antwort. War unser Leben ein Spiel, nur Zufall? Nichts war, nichts bleibt.

Weitere Kostenlose Bücher