PR Kosmos-Chronik 01 - Reginald Bull
mich nicht los.
Vielleicht kann ich Dich irgendwann vergessen. Obwohl ich mich frage, wie das möglich sein soll. Du weißt es nicht, aber ich hatte gerne unsere Kinder aufwachsen und ebenfalls nach den Sternen greifen sehen.
Schade
Hannah
Ein ernstzunehmender Zwischenfall zwischen zwei Explorern und den Schiffen einer Springersippe, der sich beinahe zur Raumschlacht um eine erst vor wenigen Jahren besiedelte Agrarwelt ausgeweitet hatte, machte meine Anwesenheit im knapp zweitausend Lichtjahre entfernten Kurtos-System erforderlich.
Achtzehn Tage war ich von der Erde fort, erst danach konnte ich mich wieder um Hannahs Verbleib kümmern. Sie schien spurlos verschwunden zu sein, hatte keines der abgehenden Raumschiffe benutzt, aber auch keine Transmitterpassage gebucht.
Über die lunare Hyperinpotronik NATHAN fand ich schließlich ihre Spur. An Bord eines Frachters der Ferguson & Ferguson-Tochterfirma Interstellar Bionetics Research hatte sie Gladors Stern angeflogen, 10.251 Lichtjahre von Sol entfernt. Einzige bewohnte Welt des Systems war Siga, bereits im Jahr 2003 von terranischen Auswanderern in Besitz genommen. Schon nach der Geburt der ersten zwergwüchsigen Kinder war der Planet 2018 für die weitere Besiedlung gesperrt worden. Jede neugeborene Generation wurde kleiner. Wenn der Trend anhielt, und dafür gab es eine Fülle medizinischer Gutachten, würde der Schrumpfungsprozeß irgendwo zwischen zehn und zwanzig Zentimetern Körpergröße zum Stillstand kommen.
Die Menschheit hatte also längst begonnen, sich zu einer wahren Vielvölkergemeinschaft zu entwickeln. Das war der Preis, den wir für die Eroberung des Weltraums zu zahlen hatten: Anpassung an veränderte Umweltbedingungen. Andererseits wurden dadurch aber auch die letzten unverbesserlichen Nationalisten gezwungen, ihre Verbohrtheit abzulegen. Es gab nicht mehr nur Schwarz und Weiß und Gelb, die genetische Vielfalt im Homo sapiens erwies sich als weitaus umfangreicher. Wenn ich es richtig sah, veränderten nicht nur wir Menschen die Umweltbedingungen manches Planeten durch Terraforming — andere Schwerkraftverhältnisse, atmosphärische Besonderheiten oder veränderte Strahlungsverhältnisse, die wir erst identifizieren konnten, wenn es längst zu spät war, eine Entwicklung rückgängig zu machen, prägten den Menschen an sich. Charles Darwin hätte seine Freude daran gehabt, die neue Evolution hin zum wirklich kosmischen Geschöpf mitzuerleben. Wer weiß, vielleicht würde es eines Tages sogar Menschen geben, für die der Weltraum keine absolut lebensfeindliche Umgebung mehr bedeutete, die im Vakuum überleben konnten wie Aminosäuren und Sporen, die der Strahlungsdruck der Sonnen durch die Unendlichkeit trieb.
Auf Siga hatte Hannah Angel das Kommando über ein firmeneigenes 100-Meter-Forschungsschiff übernommen. Ihr Auftrag lautete, kosmische Lebensbausteine aufzuspüren und zu isolieren. Die Interstellar Bionetics Research erhoffte sich aus möglicherweise Jahrmillionenalten Genen eine Revolution medizinischer Behandlungsweisen. Falls sozusagen der Urstoff allen galaktischen Lebens aufgespürt werden konnte ... Doch vorerst konnte nicht einmal mehr die MEDICINE MAN gefunden werden. Verschollen im Sternendschungel ohne Positionsangabe, hieß es lapidar in einer Firmenverlautbarung. Ein verstümmelter Notruf war alles, was vorlag. Darin war von einem heftigen Hypersturm die Rede. Der Notruf war mitten im Wort abgebrochen.
Es stand anzunehmen, daß die MEDICINE MAN den entfesselten hyperenergetischen Gewalten zum Opfer gefallen war. Sie war weiß Gott nicht das erste Raumschiff, das spurlos und für immer verschwand. Seitens der IBR war bereits die offizielle Verlustmeldung eingereicht worden, für mein Dafürhalten zu früh, doch nach dem Gesetz korrekt. Fünfzehn Jahre später wurde dann die Besatzung des 100-Meter-Schiffes endgültig für tot erklärt werden.
Ich wartete ... gab der Explorerflotte Anweisung, nach eventuellen Wrackteilen der MEDICINE MAN Ausschau zu halten... und fand mich nach einigen Jahren damit ab, daß ich Hannah Angel nie Wiedersehen würde.
Längst hatte ich mich an den Tod als ständigen Begleiter gewöhnen müssen. Freunde und Mitarbeiter wurden alt und starben, andere rückten für sie nach. Das war der Lauf des Lebens, der nur für uns Unsterbliche aufgehalten schien, aber gerade deshalb immer mehr in den Vordergrund trat. Irgendwann würde ich die Gesichter vergessen, später auch die zu diesen
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