PR Kosmos-Chronik 01 - Reginald Bull
hatte. Es war schon verflucht schwer zu glauben, daß die Zweitkonditionierten aus dreißig Millionen Lichtjahren Entfernung stammen sollten. Aber die CREST IV ebenfalls in dieser Distanz zu vermuten wir hatten ja gerade mit Mühe und Not Andromeda erreicht, und das war im Vergleich ein Katzensprung gewesen.«
Ich griff nach dem Glas Wasser, das neben mir stand, und dessen Inhalt inzwischen fahl schmeckte. Trotzdem half es mir, die plötzliche Trockenheit im Gaumen zu vertreiben.
»Haben Sie eine Vorstellung von den gewaltigen Entfernungen im Universum, Miss? Das sollte sich in den vergangenen ein oder zwei Jahrhunderten grundlegend geändert haben, dennoch glaube ich, daß mehr als neunzig Prozent der Bevölkerung die astronomischen Daten nur oberflächlich sehen, weil sie immer noch ihr Vorstellungsvermögen sprengen. M 87 liegt zwar gleich nebenan, so quasi um die Ecke — aber das Licht braucht dennoch dreißig Millionen Jahre, um zu uns zu gelangen, und ebenso lange wurde ein Raumschiff benötigen, das mit seinen Impulstriebwerken nur bis an die Grenze der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Mit anderen Worten. Die Raumfahrer waren länger unterwegs als die Menschheit, von ihren primitivsten Vorfahren ausgehend, bisher überhaupt existiert. Ich höre die Reaktion unseres Abwehrchefs Allan D. Mercant immer noch, als stünde er in dem Moment neben mir.«
»Das ist dasselbe, als wenn der Chef tot wäre«, sagte er. Und zumindest damals hatte er recht. Eine ferne Sterneninsel wie M 87 erreicht man eben nicht mit ein paar zusätzlich angeflanschten Triebwerken, nicht einmal mit einem Dutzend Weltraumbahnhöfen.«
»Das ist es nicht, was ich hören wollte«, sagte lonka. »Ihre ganz persönlichen Gefühle in dem Moment interessieren die Geschichtsschreibung. Was dachte Solarmarschall Reginald Bull, was fühlte er, als der Zeitpolizist Tro Khon mit seiner eigentlich unglaublichen Behauptung kam?«
»Ich ... « Was sollte ich dazu sagen? Es fiel schwer, mich in die Situation zurückzuversetzen. Für eine Weile suchte ich nach den richtigen Empfindungen. Vergeblich, wie mir schien. Viel zu viel war in der Zwischenzeit geschehen, Wichtigeres als ein paar Emotionen. »Ich glaube nicht, daß das von Interesse ist, Miss Mellham. Im übrigen sollten wir unsere Arbeitssitzung für heute beenden. Es ist schon spät.«
Ein herrliches Abendrot fiel durch das Panoramafenster in der 184. Etage. Der Himmel hatte sich in einen aufgewühlten Ozean verwandelt, in dem rote, gelbe, ja sogar purpurne Farbtöne ineinanderschwappten, hier feine Wellenmuster bildeten und dort großflächig wie losgerissene Inseln nach Westen trieben. Sterne fielen aus diesem Farbenmeer herab, erst golden schimmernd in großer Hohe, doch schnell von einem blutroten Glanz, atemberaubende Zweieinhalb-Kilometer-Kugeln, die zur Landung auf den Raumhafen Terranias ansetzten. Im Sog ihrer Luftturbulenzen begann das Abendrot zu verwirbeln. Schwärze mischte sich in die Schlieren, einige wenige Sterne wurden sichtbar.
Ich genoß solche seltenen Augenblicke der Ruhe. Dann stand ich minutenlang am Fenster und ließ meine Gedanken schweifen, von der überwältigenden Skyline unserer Metropole bis in die fernsten Tiefen des Alls, die Menschen vielleicht nie zu Gesicht bekommen würden.
Je weiter wir in den Raum vorstießen, je mehr wir zu wissen und zu erforschen glaubten, desto umfangreicher wurden die Fragen, die ihrer Beantwortung harrten.
Längst hielt ich es mit unseren alt-terranischen Philosophen, deren Weisheiten den Lauf der Zeit überdauert hatten und heute wie vor zweitausend Jahren zutrafen. »Ich weiß, daß ich nichts weiß, aber viele wissen nicht einmal das.«
Ich war lonka Mellham für ihr Schweigen dankbar. Doch ich spürte, daß sie mich beobachtete. Keine Sekunde lang ließ sie mich aus den Augen und registrierte offenbar jede meiner Regungen, um darüber zu berichten. Vergeblich versuchte ich ihre Nähe zu vergessen, ich konnte es nicht.
»Seit drei Tagen wühlen wir uns durch eine Fülle von Informationen, Bully«, sagte lonka unvermittelt, »aber ich weiß immer noch herzlich wenig über Sie selbst.«
»Was interessant ist, steht in den öffentlichen Verlautbarungen.« Das Abendrot begann zu verblassen, ich wandte mich wieder den ausgebreiteten Unterlagen, den Speicherbändern und Holowürfeln zu.
»Das ist nur eine Seite des unsterblichen Reginald Bull«, widersprach die Frau. »Die andere ... «
» ... ist uninteressant und meine
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