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PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche

PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche

Titel: PR Lemuria 04 - Der erste Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Lukas
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unnatürlichen, verkrampften Haltung seinen Stoffwechsel nicht zu kontrollieren vermochte? Wenn er sich beschmutzte, befleckte vor aller Augen?
    Dann konnte er seine Initiation vergessen. Immer schon der Schwächste seines Jahrgangs und ständig in Gefahr, als lebensuntüchtig eingestuft zu werden, würde er statt über die Vulkanklippen gen Jenseite schnurstracks in den Vertilgerschlund wandern.
    Ausgemerzt noch vor der ersten Bewährung... Der schmählichste vorstellbare Tod. und doch war das nicht die schlimmste von Boryks Ängsten.
    »Sodann befahl ich: Es werde Licht, damit es scheide zwischen den Finsternissen. Und ein Firmament ward zwischen den Wassern, zwischen Wasser u-unterhalb des Firmamentes und Wasser oberhalb des Firmamentes, zwischen Himmel und Hölle. Und ich stellte fest, dass das zi-zi-ziemlich gut war.«
    Links und rechts von Boryk knieten Gujnar und Rautsh. Seinen Krippbrüdern schien die Tortur viel weniger auszumachen als ihm. Stolz hatten sie die Brust heraus gereckt, die Köpfe erhoben, die glänzend blauen Augen weit geöffnet. Sie lächelten siegesgewiss. Spürten sie denn die Hitze nicht, die von den rot glühenden Steinen im Weihrauchbecken ausging und Haarspitzen und Brauen versengte? Den eisigen Wind, der an ihren dünnen weißen Hemdchen riss? Empfanden sie denn gar keine Furcht vor dem, was ihnen bevorstand?
    Nein, gab sich Boryk zur Antwort. Wahrscheinlich sind sie schlicht und einfach zu blöd dazu.
    Gleich darauf schämte er sich seines Gedankens. Wie kam er dazu, sich den Zwillingen überlegen zu fühlen? Ausgerechnet er, der mit Abstand Schmächtigste des Jahrgangs! Der kleine, dürre Boryk, der eher wie ein unterernährter Fünfjähriger wirkte denn wie ein Junge an der Schwelle zum Mannsein.
    An der Schwelle, die er in Bälde überschreiten sollte...
    »Hernach befahl ich, dass sich die Wasser sammelten und trockenes Land erscheine. Und das Land grü-grünte und brachte Grünes hervor, Kraut, das Samen bringt nach seiner Art, und Bäume, die Früchte bringen nach ihrer Art. Und ich installierte Leuchten am Firmament, damit sie erhellen Himmel und Hölle und scheiden zwischen Abend und Morgen, zwischen dem Licht und der Finsternis, und damit sie als Zeichen dienen für die Festzeiten und Tage, Wochen, Monate und Jahre. Ich finde, die Beleuchtung ist mir wirklich recht hübsch gelungen, be-be-sonders die Monde. Jedenfalls, danach sprach ich: Lasset uns Menschen machen nach unserem Ebenbilde... «
    Die Zeremonie näherte sich ihrem Höhepunkt. Während der Majittri unablässig weiter rezitierte, wurde seine Stimme mehr und mehr von sirrenden, schnalzenden Geräuschen überdeckt. Die umstehenden Erwachsenen peitschten mit ihren langen Ruten die Luft. Boryk bekam eine Gänsehaut. Seine Eingeweide revoltierten. Er kniff die Arschbacken zusammen. Nicht jetzt, bitte bitte nicht jetzt...
    »Als Mann und Frau schuf ich sie, als Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch, und blies in ihre Nase meinen Lebenshauch. So wurden sie le-lebende Wesen. Ich setzte die Menschen in den Garten Ehedem, welchen ich für sie angelegt habe zwischen dem Meer und dem hohen Gebirge, und erteilte ihnen den Auftrag: Seid fru-fruchtbar und mehret euch, und macht euch die Erde Untertan!«
    Das war das Stichwort. Die Erwachsenen fielen ein, wobei sie den Kreis enger und enger zogen: »Seid fruchtbar und mehret euch! Seid fruchtbar und mehret euch! Seid fruchtbar... «
    Die Ruten pfiffen. Mit jedem Wort prasselten Schläge auf Boryks Rücken, Schultern und Arme. Die Großen gaben ihr Bestes. Lauter und lauter schrien sie; härter und härter schlugen sie. Gelegentlich vermeinte Boryk, in dem Wirbel aus Gebrüll und Rutenstreichen die Stimme seiner Mama zu erkennen, oder die charakteristische Züch-tigungstechnik eines seiner Väter. Es stand außer Frage, dass sie sich ebenfalls an dem Ritual beteiligten und dabei keineswegs zurückhielten; ganz im Gegenteil. Sie liebten ihren Sohn schließlich, trotz seiner Mängel. Ihn zu schonen, wäre ein Ausdruck von Missachtung gewesen, von mangelndem Vertrauen in seine Reife und Duldungsfähigkeit.
    »Seid fruchtbar! - Seid fruchtbar! - Seid fruchtbar!«
    Irgendwann bemerkte Boryk überrascht, dass er keine Schmerzen mehr empfand. Er registrierte die Stellen, an denen seine Haut unter den Hieben aufgeplatzt war, ebenso wie die scharfen Kanten der Kiesel und die heißen, aus dem Rauchbecken aufsteigenden Schwaden. Doch waren dies bloße Beobachtungen; er fühlte

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