PR TB 020 Das Gesetz Der Gläsernen Vögel
Jahrhunderte, und
ein vitaleres Volk hat Arkon unterwandert - wobei dies noch das
mildeste Schicksal ist. Von uns heraus werden wir nichts tun können.
Das ist unser Problem, und wenn ich einen der jungen Männer
ansehe, ist es auch mein Problem.«
Robert schob seine Brille in die Stirn und massierte die
Augengegend.
»Das Leben ist eine Anhäufung von Problemen - ohne sie
gäbe es nichts. Keinen Fortschritt. Keine Erfindungen, keine
Gedichte und keine Musik. Keinen Krieg und keinen Frieden. Und keine
Liebe. Es wäre ein kosmischer Untergang, wenn alles problemlos
ginge, Keenra.«
»Wer verschafft Tharc Yser ein solches heilsames Problem?«
Der Terraner wußte keine Antwort.
»Der Zufall?« fragte er schließlich, als die
Musik leiser wurde und die Mädchen in einem Kreis sich
umeinander drehten und dabei farbige Schleier hinter sich herzogen.
»Glauben Sie an den Zufall?« fragte Keenra zurück.
»Als Wissenschaftler? Nein.«
Nach einiger Zeit sagte Keenra leise:
»Diese Familie Tharc, bei der wir eingeladen sind, war vor
Generationen einmal mehr als berühmt. Vor vierhundert Jahren gab
es sogar einen Piraten - Tharc Aulaire -, der spurlos verschwand,
nachdem er ein riesiges Vermögen zusammengeraubt hatte. Meinen
Sie nicht, daß noch entsprechende Anlagen in Yser vorhanden
sein könnten?«
Überrascht löste sich Neville vom Geländer. Die
Mädchen verließen die schwebende Platte und
verteilten sich unter die
Gäste, was einen nicht unbeträchtlichen Jubel auslöste.
Hier oben waren Neville und Keenra die einzigen Gäste; nur ein
schimmernder Roboter stand herum und hielt Getränke in seinen
stählernen Fingern.
»Sie scheinen unter Ihren kurzen Haaren einen überraschenden
Verstand zu verbergen. Findet man nicht oft bei arkonidischen
Frauen.«
Dankend lächelte Keenra zurück.
»Lassen Sie Ihre unqualifizierten Bemerkungen«,
antwortete sie leichthin. »Immerhin liegen die harten Jahre
eines Archäologiestudiums hinter mir. Es ließ sich dabei
nicht vermeiden, daß ich eine Ahnung von Völkerkunde und
demnach auch von Psychologie erwerben konnte.«
»Ihre Familie ist neuarkonidisch?«
»Ja«, antwortete Keenra. »Wir leben seit fünf
Jahren hier. Es ist alles gut, schön und bequem … bis auf die
unerträgliche Dekadenz, die auf Schritt und Tritt zu sehen ist.
Sie bringt mich noch um. Und ich kann nichts dagegen tun.«
»Wo haben Sie Yser kennengelernt?«
»Irgend jemand aus seiner zahlreichen Freundesschar
schleppte mich eines Tages hierher, um das Haus untersichen zu
lassen. Es ist kulturhistorisch recht interessant, aber Tharc Aulaire
hat seine Schätze woanders vergraben. Nicht hier.«
»Ich sehe den schwachen Schimmer einer Möglichkeit,
Ihren jungen Freund zu kurieren«, sagte Neville und nahm seine
Brille ab, steckte sie in die Brusttasche seines Anzugs.
Jetzt sah man erst die Augen des Psychologen; sie waren das
Dominierende in dem braunen Gesicht. Hellgrau, von einer Schärfe,
die einen anderen Menschen als Keenra hätte erschauern lassen.
Das Gesicht Nevilles war fast asketisch zu nennen, wären die
zahlreichen Lachfältchen nicht gewesen. Der terranische
Psychologe legte die Spitzen seiner knochigen Finger gegeneinander
und sagte langsam und wohlüberlegt:
»Das Gehirn ist eine instabile Sache; auch der Verstand ist
instabil. Nur diese Möglichkeit unterscheidet ein denkendes
Wesen von einem Tier. Instabilität beinhaltet die Möglichkeit
der Beeinflussung, des Lernens und des Zusammerbruchs.«
»Zusammenbruch?« fragte Keenra aufmerksam.
»Genau«, sagte Neville scharf und winkte dem Roboter.
Neue Getränke kamen. Neville nahm vorsichtig zwei Glä
ser von der Platte und reichte Keenra einen Lassarp-Spezial; für
sich wählte er einen Haracaal.
»Die einzige Heilung für Yser wäre, ihn zu
schocken. Ihn mit neuen Verhaltensweisen zu programmieren und dann in
eine entsprechend unbekannte Situation zu bringen. Entweder schwimmt
er dann, oder er geht unter und ertrinkt. Das gleiche gilt natürlich
für den Rest der achthundert Millionen Einwohner von Arkon I.«
»So neu oder vielversprechend ist Ihre These nicht. Sie
scheint mir keinen Angriffspunkt zu besitzen.« Neville lächelte
vielsagend.
»Ich habe eine Schwester«, sagte er. »Sie ist
Chefstewardeß im interstellaren Dienst. Wir unterhalten uns
sehr oft; dazu kommt, daß Alexandra viele meiner Interessen
hat. Sie, Keenra, würden staunen, wenn Sie wüßten,
wie sehr sich viele Dinge ähneln. Selbst bei der Vielzahl
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