PR TB 058 Das Verbotene Sonnensystem
konnten das ohne Gefahr tun, Oberst. Es war nur eine
kleine Baumgruppe in der Nähe, dann die Steppe und der Fluß.
Wir wollten das Wasser untersuchen. Es befindet sich zur Zeit im
Labor, aber das Ergebnis ist noch nicht durchgekommen. Warum fragen
Sie?"
"Ich habe mich in der kurzen Zeit, die ich auf diesem
Planeten verbrachte, an die ungewöhnlichsten Dinge gewöhnt.
Vielleicht konnte sich jemand in den Gleiter schleichen, während
Sie unterwegs waren."
"Das ist völlig unmöglich, Sir. Wir waren immer in
Sichtweite. Die Steppe bot nicht viel Deckung. Der Fluß war nur
wenige Meter entfernt. Außerdem hätten wir den
Eindringling sofort gefunden, denn die Kabine des Gleiters kann man
nicht gerade groß nennen. Nein, ich glaube, da kann ich Sie
beruhigen."
Oberst Geldern schien nicht ganz überzeugt zu sein. Er warf
einen kurzen Blick auf den elektrischen Zaun und stellte fest, daß
die Bäume jetzt nur mehr zehn Meter hoch waren. Der
Schrumpfungsprozeß ging langsam weiter. Die Kronen der Bäume
waren kleiner und die Stämme dünner geworden. Es war
tatsächlich so, als sauge der Boden sie ein.
Dr. Rena Stonehill, die Leiterin der Astronomischen Abteilung,
stieß plötzlich einen schrillen Schrei aus. Sie deutete
auf den Holzkäfig, in dem eben noch der niedliche Kaninchenbär
gesessen hatte.
"Er ist fort! Sehen Sie - der Vogel!"
Einige der Männer sprangen auf. Kensington erhob sich
wesentlich langsamer und ging zu dem Käfig. Die Gitterstäbe
waren so eng gesetzt, daß es dem Tier unmöglich gewesen
sein konnte, sich hindurchzuzwängen. Außerdem wies der
Käfig keinerlei Beschädigungen auf. Oben auf dem Dach saß
ein rabengroßer Vogel mit buntem Gefieder. Er sah Kensington
interessiert entgegen.
Der Analytiker blieb fünf Meter vor dem Käfig stehen und
betrachtete den Vogel. Ihm fiel auf, daß das Tier kluge und
fast intelligente Augen hatte. Er vermeinte, in ihnen wohlwollendes
Interesse zu lesen. Aber das mußte eine Täuschung sein.
Ein Vogel konnte nicht denken.
Oder doch?
"Fangen Sie das Biest", ertönte eine Stimme hinter
Kensington. Das mußte Dr. Schuster sein. Fangen Sie es, oder
bringen Sie es um."
Kensington blieb stehen und bewegte sich nicht. Außerdem
trug er keine Waffe. Er erwiderte den Blick des Vogels und überlegte
sich, ob das Tier vielleicht telepathisch veranlagt war. Aber dann,
ehe er weiter darüber nachdenken konnte, breitete das Tier seine
Schwingen aus und startete mit einem fast schwerfälligen Satz.
Mit langsamen Flügelschlägen erhob es sich und strich dicht
über die niedrigen Baumwipfel dahin und war im Dunkel der Nacht
verschwunden.
Kensington drehte sich um und ging langsam zu seinem Platz zurück.
Er setzte sich.
"Es ist Ihnen doch wohl klar, was geschehen ist?" sagte
er mit belegter Stimme. "Eine Verwandlung, nichts anderes."
Er wandte sich an die Astronomin. "Ihr süßer kleiner
Bär, wie Sie ihn nannten, hat sich in einen Vogel verwandelt -
das ist alles. Als Kaninchenbär konnte er ja schließlich
nicht flüchten. Wohl aber als Vogel. Also wurde er ein Vogel.
Ich finde, das ist eine sehr einfache und logische Erklärung."
Dr. Rena Stonehill starrte ihn an, als habe er den Verstand
verloren. Sie zitterte am ganzen Körper. Dann begann sie
plötzlich zu schluchzen.
Kensington zuckte die Schultern und schwieg.
In die Stille hinein sagte Dr. Schuster:
"Der Wald - die Bäume - sie sind verschwunden."
So war es in der Tat. Die TAIGA stand wieder frei in der Steppe,
zwischen dem Gebirge und dem Ozean. In der Nähe des Meeres war
sogar das Licht zu erkennen, das von der Space-Jet Captain Gormats
stammen mußte. Der Sternenhimmel reichte wieder bis zum
Horizont, ohne von Bäumen verdeckt zu werden. Die Luft war klar
und warm. Es war still.
"Ich glaube, wir gehen ins Schiff", schlug Oberst
Geldern vor. "Es hat wenig Sinn, jetzt den Schutz unseres
elektrischen Zaunes zu verlassen. Wir wissen nicht, was da draußen
auf uns lauert. Vielleicht will man uns auch nur vom Schiff
weglocken, um uns leichter überwältigen zu können.
Natürlich könnte auch ein Angriff aus der Luft erfolgen,
aber wir werden einen Energie-Alarmschirm um das Schiff legen. Selbst
wenn sich dann ein Vogel nähert, werden wir es bemerken."
Dr. Schuster warf einen letzten Blick auf die Stelle, an der der
Wald gestanden hatte, dann half er Rena Stonehill beim Aufstehen. Er
stützte sie, während sie an dem leeren Käfig vorbei
auf die Luftschleuse zugingen.
Die anderen folgten ihnen.
Oberst
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