PR TB 079 Das System Der Traumsänger
erwiderte der Alte und wandte
sich zum Gehen. „Folge mir, Franklin Kendall!“
*
Vor dem Standbild Baar Luns stockte Kendalls Schritt. Er wollte
Khoor Lun fragen, wie die Statue an diesen Ort gekommen war. Sie
konnte nicht den ersten Baar Lun darstellen, denn der war auf Seven
geboren und noch nicht mutiert wie die Nachkommen der nach Gleam
deportierten Menschen.
Er schob die Frage auf. Zuerst mußte Bruno befreit werden.
Wie hatte Khoor Lun gesagt? Ich habe ihn abgeschaltet.
Was bedeutete >abgeschaltet< in der Terminologie des alten
Mannes?
„Träume ich oder wache ich?“ Khoor Lun wandte den
Kopf. „Was sagtest du, Franklin Kendall?“ „Ich weiß
nicht, ob das hier alles Realität ist oder ob ich es nur
träume.“
Der Alte blieb stehen.
„Die Wirklichkeit duldet keine Träume in sich, mein
Sohn. Du und ich, wir sind Realität, aber ich bin gesungen
worden wie Maa Duun und wie das Alte Volk gesungen werden wird,
sobald Nokturns Schwierigkeiten behoben sind.“ Er ging weiter.
Das war eine Antwort, die Kendall nicht befriedigte, aber er
ahnte, daß es keinen Sinn hatte, jetzt weiter in Khoor Lun zu
dringen. Sie benutzten verschiedene Terminologien, und Khoor Lun
schien alles in mystischem licht zu sehen.
Vor einer Schaltwand blieb der Alte stehen. Er drückte einige
Tasten, und eine freie metallisch schimmernde Fläche verwandelte
sich in einen Bildschirm, genauer gesagt in die Oberfläche eines
Trivideo-Kubus.
Kendall sah Bruno. Der Maahk schwebte offenbar in Energiefeldern.
Sein Raumanzug war geschlossen. Kendall atmete auf.
Khoor Lun drückte eine breite Schaltplatte.
Um den Maahk herum war plötzlich ein stechendes blauweißes
Licht. Ein tiefes Summen erscholl. Schlagartig erlosch das blendende
Licht. Bruno wurde von unsichtbaren Energiefeldern auf die Füße
gestellt. Er öffnete die Augen, sah sich um und stapfte —
wie es schien — auf die Oberfläche des Trivideo-Kubus zu.
Khoor Lun betätigte einen weiteren Schalter. Neben der
Schaltwand glitt ein Panzerschott in die Decke. Gleich darauf trat
der Maahk ins Freie.
Als er Kendall erblickte, warf er die Tentakelarme hoch und stieß
einen Schrei aus. Dann rannte er auf den Terraner zu und umarmte ihn.
„Sie haben mich befreit, Kendall!“ rief er. „Ich
danke Ihnen!“
„Sie zerdrücken mich!“ schrie Franklin.
Erschrocken ließ der Maahk ihn los und trat einen Schritt
zurück. Dann erblickte er Khoor Lun, und seine Hand fuhr an die
Strahlwaffe.
„Wer ist das? Er hat mich eingefroren. Ich dachte, ich müßte
sterben. Es war entsetzlich.“ Franklin Kendall legte eine Hand
auf Khoor Luns Schulter.
„Und er hat dich wieder freigegeben, Bruno. Khoor Lun ist
kein Feind, und er hat wahrscheinlich nichts mit den Traumsängern
zu tun, obwohl er sich >Hüter der Träume< nennt.“
„Hüter der Träume“, flüsterte Bruno. In
seinen beiden vorderen Augen stand Entsetzen. „Woher wollen Sie
wissen, daß er nicht zu den Traumsängern gehört,
Kendall?“
Franklin zuckte die Schultern.
„Das läßt sich nicht mit wenigen Worten erklären,
Bruno.“ Er wandte sich an Khoor Lun. „Ich denke, du
solltest uns alles erklären, was mit deiner und Nokturns
Aufgaben zusammenhängt. Aber vorher müßten wir
Verbindung zu meinen Freunden aufnehmen.“
„Das ist unmöglich. Deine Freunde könnten zwar mit
uns Verbindung herstellen, aber wir nicht mit ihnen. Der Tempel des
Gedächtnisses ist hier, und sie sind dort.“
„Was bedeutet >hier“
Khoor Lun sah den Terraner verständnislos an.
„Der Tempel des Gedächtnisses natürlich. Oder
weißt du nicht, daß unsere Unterhaltung auf rein
positronischer Ebene stattfindet?“
„Was?“ entfuhr es Kendall. „Auf positronischer
Ebene? Dann sind wir nicht wirklich? — Ich begreife nichts
mehr.“
Der Alte lächelte weise.
„Ich muß mich entschuldigen, Franklin Kendall.
Offenbar kennt die neue Menschheit die Geheimnisse des Lun-Klans
nicht. Ich sagte vorhin, daß wir Realität sind, und das
stimmt. Wir befinden uns innerhalb des Hauptmaterialisators, aber mit
>wir< mußt du gegeneinander abgekapselte Wesenheiten
verstehen. Ein Kontakt ist nur auf dem Umweg über den Tempel des
Gedächtnisses möglich, und da ich unter einer
Persönlichkeit nur ein kontaktfähiges Intelligenzwesen
verstehe, sprach ich vorhin davon, daß >wir< uns im
Tempel befänden. Begreifst du wenigstens das Prinzip?“
„Ich glaube, mir ist es klar“, sagte der Maahk. „Aber
warum verlassen wir den
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