PR TB 079 Das System Der Traumsänger
überlisten.
Sie hatten die Individualdaten einiger tausend Männer und
Frauen abgenommen und sie in Positronengehirnen gespeichert. Sie
hatten außerdem den Bauplan der bis dahin nur als Legende
existierenden Stadt Maa Duun entwickelt und in einer Positronik
verankert. Während die natürlichen Träger der
Individualdaten starben, agierten ihre körperhaften
Vorstellungsimpulse zusammen mit den Vorstellungsimpulsen der nie
gebauten Stadt weiter. Nokturn, die Traummaschine, hauchte ihnen ein
immaterielles Leben ein.
Doch irgend etwas mußte versagt haben.
Irgendwo hatte sich im Ablauf der Aktionen eine verhängnisvolle
Schleife eingeschlichen, hatte einen Kreislauf ohne Ende bewirkt, der
schließlich zu schizophrenen Zuständen führte. Baar
Luns unfreiwilliges Eindringen in die Traumwelt hatte dann dazu
geführt, daß der ewige Kreislauf unterbrochen wurde.
Gleichzeitig aber war ein Defekt in Noktum aufgetreten, der die
Träume der gespeicherten Individualdaten so stark abschwächte,
daß die Daten selber gefährdet waren.
Nur die Stadt Maa Duun konnte schließlich materialisiert
werden, nachdem die Rückumwandlung der Atmosphäre gelungen
war. Maa Duun, die legendäre Hauptstadt des Lun-Klans, würde
unbelebt bleiben, wenn es nicht gelang, den Defekt Nokturns zu
beheben und die Individualdaten dem Hauptmaterialisator zu
übermitteln.
„Hier sind wir“, sagte Khoor Lun und riß damit
Kendall aus seinen Gedanken.
Fassungslos starrte der Terraner auf eine in mattem grünlichen
Licht liegende Kuppelhalle, in der ein gigantisches Nest grüner
Kristalle schwebte.
Einige Tonnen geisterhaft blinkender Illusionskristalle... !
Er schloß die Augen, bevor der Alte einen gleichartigen
Befehl geben konnte.
Beinahe wäre er in einem Strudel von Träumen ertrunken.
Wie aus weiter Ferne klang Khoor Luns Stimme an sein Ohr.
„Laßt die Augen geschlossen, meine Söhne. Ich
werde euch führen.“
Kendall spürte, wie eine schmale, knochige Hand nach der
seinen griff. Er klammerte sich an ihr fest, ließ sich vorwärts
ziehen, griff mit der anderen Hand über scharfe Kristallkanten,
wurde geschoben und kroch schließlich auf dem Bauch in einen
von glatten eiskalten Wänden umschlossenen Hohlraum.
„So!“ rief Khoor Lun nach einiger Zeit. „Ihr
müßt jetzt die Augen öffnen. Ich sehe ab und zu nach
euch. Keine Angst, meine Söhne. Wenn euer Geist stark genug ist,
geschieht euch nichts.“
Ein schwacher Trost! dachte Kendall.
Dann durchfuhr ihn schockartig die Frage, wie sie gegen die
Illusionskristalle immunisiert werden könnten, wenn sie gar
nicht körperlich anwesend waren.
Er riß die Augen auf, wollte nach dem Alten rufen.
Doch da wurde er von einem gewaltigen Sog ergriffen und in einen
Abgrund geschleudert.
*
Franklin Kendall duckte sich in den Schatten eines Torweges.
Angestrengt lauschte er in die dunklen Gassen der Stadt, wartete auf
die Schritte oder Zurufe seiner Verfolger.
Er wußte, daß er nicht ewig vor Torknun und seinen
fünf Brüdern fliehen konnte. Es war schon fast ein Wunder
gewesen, daß er aus dem Kerker ihrer Burg hatte entfliehen
können. Freilich, ohne Hilfe von außen wäre es ihm
niemals gelungen. Wenn er nur wüßte, wer ihm zur Flucht
verhelfen hatte. Sein unbekannter Gönner konnte doch nicht daran
interessiert sein, daß man ihn wenige Stunden danach wieder
einfing.
Kendall schüttelte sich vor Grauen.
Er hatte aus seinem Kerker die Schreie der Mitgefangenen gehört,
die von den sechs Torknun-Brüdern gefoltert worden waren. Es war
fast so schlimm gewesen, als wäre er selber gefoltert worden.
Er zuckte zusammen.
Von links war ein Scharren gekommen, normalerweise unhörbar,
aber Franklins Sinne waren durch die Erregung und die Furcht
geschärft. Er zitterte. Jede Faser seines Körpers fieberte
nach schneller Flucht. Aber das wäre verkehrt gewesen. Erst
mußte er wissen, ob die Verfolger auch von anderen Seiten auf
sein Versteck zukamen.
Doch als er dicht hinter sich, hinter dem Dunkel des Torweges, ein
Flüstern hörte, war es mit seiner Selbstbeherrschung
vorbei. Er sprang aus seinem Versteck, rannte quer über die
Gasse und hechtete zur Krone der gegenüberliegenden Mauer.
Er griff in scharfe Glasscherben, die seine Finger zerschnitten.
Aber die Furcht war stärker als der Schmerz. Kendall spürte
kaum etwas. Keuchend zog er sich hoch, hockte zusammengekauert oben
und blickte in einen ausgedehnten Garten, dessen Bäume und
Sträucher vom letzten Regen naß waren und das
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