PR TB 158 Die Frauen Von Avalian
Flucht
davongetragen hatte. Normalerweise pflegten sie unter solchen
Umständen zu jammern und zu schreien und
Operationsvorbereitungen zu treffen, weil sie um mein Leben
fürchteten. Nun aber begriffen sie vermutlich, daß sie
doch nichts tun konnten, da die Mittel fehlten.
Ich legte Elaine die Hand aufs Knie.
„Bevor wir hier versauern", sagte ich, „sollten
wir lieber in den Tempel gehen."
Sie lächelte matt und erhob sich.
„Ich hatte Angst", gestand sie mir. Ich legte ihr den
Arm um die Schultern und gab mich zuversichtlich.
„Wir werden es schon schaffen."
Jeder Schritt wurde zur Qual. Die Entbehrungen der letzten Tage
waren zu groß gewesen. Wir hatten Hunger und Durst sehnten wir
uns nach der technisch perfekten Welt der SOL, in der es alles gab,
was wir brauchten. Je näher wir den Torbögen am Eingang des
Tempels jedoch kamen, desto mehr schienen wir uns zu erholen. Wir
eilten schneller voran und leugneten innerlich jede Gefahr.
Prilly und Sue ließen sich nicht sehen. Dabei hätten
sie längst zurücksein müssen, wenn im Tempel alles in
Ordnung gewesen wäre.
Als Elaine und ich den Tempel betraten, erkannten wir, warum die
beiden Posbis nicht gekommen waren.
Doyana wartete mit etwa zweihundert Frauen auf uns. Prilly und Sue
waren verschwunden. Elaine schrie entsetzt auf. Sie sank auf die
Knie, weil sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Mir war
die Kehle wie zugeschnürt. Ich konnte kaum noch atmen.
Doyana kam uns in stolzer Haltung entgegen. Sie trug einen weiten
Umhang, den sie sich über die Schultern geworfen hatte, und
darunter fast nichts. Sie sah atemberaubend schön aus, aber ich
fühlte mich dadurch nicht angesprochen. Sie kam mir noch nicht
einmal wie ein weibliches Wesen vor. Die erschöpfte Elaine zu
meinen Füßen erschien mir anziehender.
„Hier ist dein Weg zu Ende", sagte die Avalianerin zu
mir.
„Es scheint so", antwortete ich ächzend. Ich hatte
keine Kraft mehr, mich gegen sie aufzubäumen.
„Wir haben entschieden, daß ihr den Weg gehen sollt,
auf dem ihr zu uns gekommen seid", erklärte Doyana.
„Verlaßt Avalian!"
Sie hätte auch sagen können: „Fahrt zur Hölle!"
Für mich klang alles gleich. Ich wurde mir bewußt, daß
ich eigentlich schon seit Tagen keine echte Hoffnung mehr gehabt
hatte. Die ganze Zeit über hatte ich gewußt, daß
unser Weg hier zu Ende sein würde. Doyana hatte gar keine andere
Möglichkeit gehabt, als hier auf uns zu warten. Nur so konnte
sie ihr Ansehen wahren und ihre Macht behalten.
Sie hob die Arme. Zwei Frauen stürzten sich auf mich, packten
mich an den Armen und schleiften mich auf den Transmitterschacht zu.
Ich sträubte mich, denn ich wußte, daß der Sturz in
die Tiefe den Tod bedeuten würde. Doch meine Gegenwehr war
sinnlos. Ich konnte mich nicht gegen diese kräftigen Frauen
behaupten. Sie waren viel stärker als ich, und sie hatten keine
tagelange, strapaziöse Flucht hinter sich.
Kurz vordem Schacht blickte ich zurück. Zwei andere Frauen
schleiften Elaine über den Boden hinter mir her.
Ich ließ mich fallen und entglitt den Händen meiner
Wächterinnen, die völlig überrascht wurden. Mein
synthetisches Hinterteil funktionierte ausgezeichnet. Es schnellte
mich wieder hoch, und ich prallte mit voller Wucht gegen die beiden
Frauen. Ich schrie vor Schmerz auf. Ich glaubte, mir den Arm
ausgekugelt zu haben.
Doyana eilte herbei. Ihr folgten etwa zwanzig weitere Frauen. Ich
richtete mich auf und versuchte, Elaine zu helfen. Doch nun trat mir
ein riesiges Weib entgegen. Es überragte mich um etwa fünfzig
Zentimeter. Laut brüllend griff es mich an, holte weit aus und
hieb mir mit voller Wucht die Faust unter das Kinn. Ich verlor den
Boden unter den Füßen, überschlug mich im Fall und
stürzte direkt in die Schachtöffhung.
Zweihundert Meter unter mir leuchtete das blaue Auge.
Elaine schrie über mir auf, als auch sie in den Schacht
geworfen wurde. Dann hörte ich, daß der Tempelgong
geschlagen wurde. Doyana und die anderen Frauen jubelten.
Doch diese Geräusche blieben schnell hinter mir und Elaine
zurück. Wir fielen mit immer größerer Geschwindigkeit
auf das blaue Energiefeld zu, das uns vernichten würde.
Wir hatten mit dem Leben abgeschlossen.
Dann umfing uns das blaue Leuchten. Es wurde dunkel um uns.
Unmittelbar darauf schrie ich mit der ganzen Kraft, die noch in
mir steckte.
Wir rasten aus einem roten Leuchten heraus und stiegen in die
Höhe!
Ich konnte es kaum fassen. Wir waren wieder auf
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