PR TB 180 Das Goldland
Listen verglichen wurden. Es
war tatsächlich ein unermeßlicher Schatz. Die Gärtner
beeilten sich, die Myrrhenbäume in den Hainen der großen
Tempel zu pflanzen und schleppten in Körben trockenen Nilschlamm
herbei.
Ich befand mich jetzt in meiner Erzählung gerade beim
Lauffeuer im Lager der dicken Stammesfürstin. Es war der
dreiundzwanzigste Tag. Der Pharao war gesund, aber schwach. Zwei
gräßliche Fieberanfälle hatten den Heilungsprozeß
unterbrochen oder gar gefördert; ich wußte es nicht. Dank
des Aktivators und der Medizinen, die von den ägyptischen Ärzten
stammten und hervorragend wirkten, erholte er sich schnell.
Am fünfundzwanzigsten Tag saßen wir bereits in der
Sonne. Am dreißigsten badete er allein. Am neununddreißigsten
machte er, auf meine Schulter gestützt, einen Spaziergang durch
den abendlichen Park. Am einundvierzigsten Tag kam drei Stunden nach
Einbruch der Dunkelheit Ptah-Sokar in meinen Raum, berührte mich
an der Schulter und sagte:
„Ein anderer Freund braucht dich, Atlan. Komm!"
Ich folgte ihm sofort. Wir durchquerten schweigend Palast und
einen Teil des Parks. Am Anfang der Sphingenallee, die Park und
Tempelhain verband, loderte Fackellicht. Eine Gruppe von
schätzungsweise fünfzehn Menschen stand dort. Auf dem
Binsenkanu eines Fischers, das auf zwei Holzböcken stand, lag
auf Decken und Leinentüchern ein Mann.
„Was soll das?" flüsterte ich Ptah-Sokar zu. „Ich
bin nicht der Arzt beider Nilländer. Warum hast du mich
gerufen?"
„Ich bin nur der Bote", widersprach er unbewegten
Gesichts. „Nebamum hat dich gerufen. Er will dich an dein
Versprechen erinnern."
Ich wußte, was er meinte. Langsam ging ich näher und
schob langsam zwei fackeltragende Priesterschüler zur Seite.
„Nebamum! Anführer der Lotsen nach Punt. Du hast mich
rufen lassen", sagte ich leise und schaute dem alten, regungslos
daliegenden Mann in die Augen. „Hier bin ich."
Seine Stimme war schwach wie die des kranken Pharaos. Er sah mich
mit dem kreatürlichen Vertrauen eines Kindes an. Er hatte keinen
Zweifel daran, daß er am „Anfang aller schönen
Wandlungen" war, sozusagen am Ruder des Sonnenschiffs.
„Du sollst aus dem Totenbuch sprechen, Atlan-Horus. Und wenn
ich deine Stimme und die heiligen Worte höre, werde ich in
Frieden sterben, so wie ich es mir gewünscht habe."
Niemand sprach. Alle standen schweigend und erstarrt da. Die Szene
war von einer brutalen Ehrlichkeit. Keiner verlor sein Gesicht, denn
jeder von uns war zutiefst gerührt und ergriffen. Ich drehte
mich um, nahm das zeremonielle Beil aus der Hand eines Palastwärters,
schloß die Finger der linken Hand Nebamums um den Griff und
legte Arm und Beil so auf seine Brust, daß die Schärfe der
Bronze wieder auf seine linke Schulter deutete. Dann fragte ich
leise:
„Lüge nicht vor dem Auge der Götter. Warst du mit
Henenu in Punt, Freund Nebamum, königlicher Lotse?"
Er lächelte, aber es war nur ein schwacher Abglanz seines
listigen Grinsens, das uns alle so belustigt hatte.
„Ich sage dir die Wahrheit, Horus, wenn du die Worte gesagt
hast."
Es war mein Schicksal, einmal gemerkte und intensiv studierte
Texte niemals vergessen zu können. Ich hob den Kopf und begann
laut zu sprechen:
„... eins bin ich mit den großen Göttern der
Urzeit, die am Tag des Worte-Abwägens dem Osiris beistehen, ihm
helfen, den Feind zu besiegen. Nun leb ich. Osiris, in deiner
Umarmung.
... am Tag der Bekleidung des göttlichen Leichnams steh ich
an Seiten des Horus, lasse überfließen den Brunnen. Seht!
Ich ziehe die Riegel der Pforte, welche den Zugang erschließt
zu den Rätseln im Jenseits...
... göttliche Geister, die ihr die geläuterten Seelen zu
Osiris' heiliger Wohnung geleitet! Erlaubt mir, an eurer Seite zu
schreiten, auch ich eine geläuterte Seele.
... Heil dir Osiris! Laß mich in Frieden eindringen in dein
Königreich! Mögen die Herren der Erde mit Jubelschrein mich
empfangen! Möge ich Horus begleiten und Osiris zu ihren
köstlichen Plätzen! Alle schönen Wandlungen möge
ich durchlaufen und in allen Bereichen des Jenseits verweilen, wie
meines Herzens Freude es wünscht.
Nun gehöre ich deinem Gefolge an, Horus!"
In der Stille knisterte funkensprühend eine Fackel. Die
Finger der Rechten krampften sich fast unfühlbar um meine Hand.
Ich blickte nach unten. Mit einem Lächeln war Nebamum gestorben,
ohne daß ich es gemerkt hatte. Nun würde er die Totenbarke
lotsen und wohl seinen Göttern erzählen, wo überall
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