PR TB 190 Die Kinder Von Saint Pidgin
leichtsinnige Draufgänger,
der jede Verantwortung von sich schob und in den Tag hineinlebte.
Er war zum Sprecher der Bürger der Kinderrepublik geworden
und führte sie im Kampf gegen die Fremde Macht an.
Als Euride mit ihm allein war, gestand er ihr:
„Obwohl wir uns heftig wehren, stehen wir auf verlorenem
Posten. Die Übermacht ist zu groß. Wir unternehmen ständig
Vorstöße, um Sklaven aus dem Bann der fremden Macht zu
befreien. Wir haben große Erfolge zu verbuchen und können
die Kreise des Geisteskollektivs auch empfindlich stören. Aber
wir verlieren mehr Leute als wir befreien können.
Nur wenige von uns sind wirklich immun gegen die fremde Macht, die
anderen erfreuen sich nur dank unserer Sicherheitsmaßnahmen
ihrer geistigen Freiheit."
Die Stadt der Kinderkolonie glich einer Festung. Über die
ganze Siedlung spannte sich ein starker HÜ-Schirm, der die
zerstörerische Mentalstrahlung der fremden Macht abhielt. Jeder
der Bürger, der groß und geschickt genug war, um mit einer
Waffe umgehen zu können, war mit einem Paralysator bewaffnet.
Das war nötig, denn es kam immer wieder zum Zusammenbruch des
HÜ-Schirms, entweder durch Sabotageakte oder durch Punktbeschuß
von Strahlengeschützen, so daß das Geisteskollektiv immer
wieder Lücken fand, um in die Emerson-Kolonie vorzudringen und
Opfer zu finden.
Deshalb war es nötig, alle halbwegs wehrfähigen Bürger
mit Lähmstrahlern auszurüsten. Wenn irgendwo jemand
plötzlich Symptome von Besessenheit zeigte, dann mußte er
paralysiert werden, um keinen Schaden anrichten und um geheilt werden
zu können.
Zu den Sicherheitsmaßnahmen gehörte es auch, daß
man immer in Gruppen zusammenblieb, denn einzelne Personen waren eine
besonders leichte Beute. Niemand durfte mehr für sich allein
sein.
Euride blieb bei Niki. Es war die selbstverständlichste Sache
von der Welt. Es war Liebe.
Obwohl Euride unsagbar müde und völlig ausgepumpt war,
war sie viel zu aufgewühlt, um in dieser ersten Nacht Schlaf
finden zu können. Die Gewißheit, daß eine
unsichtbare Macht ständig um sie war und ihre Sicherheit und
ihre Willensfreiheit, ihr ureigenstes Ich bedrohte, verursachte ihr
Beklemmung.
Niki blieb mit ihr wach.
„Was ist mit Distel?" fragte Euride ihn. „Ist sie
nicht dein Mädchen?"
Sie spürte, wie Niki neben ihr den Kopf schüttelte.
„Bevor es dazu kommen konnte, geriet sie in die Abhängigkeit
des Käp'tens. Ich habe auf diese Weise viele gute Freunde
verloren. Die Zwillinge Vorlanger und Nachhelfer, Seidelbast, Rose,
Angord, Ramin... Sie wurden alle Schiffer und hängen mit dem
Kopf nach unten von den Ästen der Korkbäume. Nur Willi, der
Plärrer, und Lola Sanftmut konnten sich retten. Und gleichzeitig
mit mir stieß auch Benny Literweise zu den letzten freien
Bürgern von Saint Pidgin. Er war bereits ein Teil der fremden
Macht, war schon in das Psycho-Schiff integriert. Deshalb haben wir
es mit ihm besonders schwer. Er ist noch nicht ganz
wiederhergestellt. Vielleicht ist er morgen soweit, daß wir mit
ihm sprechen können. Dann kannst du aus seinem Mund hören,
welches Los die Schiffer erwartet."
„Hast du von Distel gehört?"
„Sie scheint unter den Schiffern einen besonderen Status zu
haben. Sie hätte die Kraft gehabt, sich gegen den Einfluß
des Käp'tens aufzulehnen, aber sie lief freiwillig zu ihm über.
Sie glaubt, damit ein gutes Werk zu tun. Distel ist einige Male in
der Kinderkolonie aufgetaucht und hat einige Bürger abgeworben.
Aber das war noch, bevor ich kam und die Sicherheitsmaßnahmen
verschärfte. Seit ich hier bin, hat sie sich nicht blicken
lassen. Solltest du ihr begegnen, dann hüte dich vor ihr. Sie
ist besonders gefährlich, weil sie glaubt, für eine gute
Sache zu arbeiten."
„Wäre es nicht möglich, daß sie recht hat?"
„Du hast Zweifel?" meinte er. „Nun, die können
durch ein Gespräch mit dem Jagzen zerstreut werden."
„Was ist das - ein Jagze?"
„Einer der Passagiere des gestrandeten Seelenschiffs",
antwortete Niki. „Ich werde dich morgen zu ihm bringen."
Sie standen mit der Morgendämmerung auf. Der grüne
HÜ-Schirm, der sich über die Siedlung spannte, war noch
deutlich zu sehen und tauchte die Gebäude und Straßen in
sein gespenstisches Licht. Auf dem Weg zur Funkzentrale begegneten
sie einigen Wachtposten, die in Zweiergruppen patrouillierten. Sie
hielten die Paralysatoren schußbereit und betrachteten sie
mißtrauisch. Erst als sie Niki erkannten, waren sie beruhigt.
Vor der
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