PR TB 191 Geisterschiff Crest IV
Shah hatte mitunter Mühe, seine
Aufmerksamkeit auf Duryeahs Vortrag zu konzentrieren. Immer wieder
wanderte sein Blick zu Nadim hinüber.
„Wann wurde das letzte Peilsignal der CREST IV empfangen?"
erkundigte sich Lennox Hatt, als Duryeah eine Pause einlegte.
„Vor knapp fünfzig Jahren", antwortete der Oberst.
„Den genauen Wert können Sie vom Rechner erfragen."
„Fünfzig Jahre!" staunte Remo Shah. Er hatte eine
ziemlich hohe Stimme, die einen unwillkürlich aufhorchen ließ.
„Warum hat man den Sender nicht so eingestellt, daß das
Signal öfter abgestrahlt wird?"
Nadim Abouzir warf dem kleinen Leutnant einen abfälligen
Seitenblick zu. Man sah ihr an, daß sie die Frage nicht für
sonderlich intelligent hielt.
„Ich habe den exakten Alpha-Faktor der CREST IV im
Augenblick nicht im Kopf, Shah", antwortete Duryeah, „aber
er liegt in der Nähe der Milliardengrenze. Der Peilsender
strahlt ein ultraenergiereiches Hypersignal ab. Jeweils nach der
Abstrahlung des Signals muß das Sendeenergiereservoir wieder
aufgeladen werden. Das nimmt Zeit in Anspruch, ein bis zwei Sekunden
etwa."
Er sah Remo Shah an, als wäre damit alles erklärt. Shah
empfand offenbar anders. Er starrte ratlos vor sich hin und sagte:
„So...?"
„Wissen Sie, wieviel Sekunden ein Jahr hat?" fragte
Duryeah.
„Habe mich nie darum gekümmert, Sir", bekannte der
beleibte Leutnant bereitwillig. „Muß eine ziemlich große
Zahl sein."
„Einunddreißig Millionen und ein paar", bemerkte
der Oberst, dem allmählich die Geduld ausging, nicht ohne eine
gewisse Schärfe.
„Oh!" machte Remo Shah. „Das ist weniger, als ich
dachte. Lassen Sie mich mal nachrechnen. Eine Milliarde, dahin geht
einunddreißig Millionen etwa dreißigmal, vielleicht ein
bißchen mehr."
Er sah verblüfft auf.
„Tatsächlich!" stieß er hervor. „Bei
einem Alpha-Faktor von einer Milliarde vergeht an Bord der CREST IV
eine Sekunde, während hier auf der Erde dreißig bis
vierzig Jahre verstreichen!"
Kevan Duryeah nickte mit Nachdruck.
„Ja, so sieht das aus!" sagte er.
Der Alpha-Faktor wird zur Angabe von Geschwindigkeiten im
hochrelativistischen Bereich verwendet. Er errechnet sich wie folgt:
Alpha-Faktor =
' '1 - *
c 2
wobei v die vom ruhenden Beobachter gemessene Geschwindigkeit des
bewegten Objekts, in diesem Fall der CREST IV, ist, während c
die Lichtgeschwindigkeit bezeichnet. Da die CREST IV seit nunmehr
1001 Jahren mit einem konstanten Wert von 10 km/sec beschleunigte,
konnte man sich leicht ausrechnen, daß ihre Geschwindigkeit, v,
der Lichtgeschwindigkeit annähernd gleich war, wodurch der
Alpha-Faktor einen äußerst großen Wert erhielt.
In diesem Augenblick erkundigte sich Nadim Abouzir:
„Wie viele Peilsignale wurden von der CREST insgesamt
empfangen, seitdem das Schiff sich selbst überlassen ist?"
Duryeah sah in seinen Unterlagen nach.
„Knapp eintausendmal", antwortete er. „Der Sender
ist auf ein konstantes Funkintervall kalibriert. Vor eintausend
Jahren, als das Flaggschiff sich auf die Reise machte, wurden mehr
als neunhundert Signale ausgestrahlt, bis die CREST den Bereich der
relativistischen Geschwindigkeiten erreichte."
„Ausgestrahlt! Und auch hier empfangen?" fragte Nadim.
„Ja, sie wurden empfangen. Man wußte damals nicht, was
man damit anfangen sollte, da der Großadministrator von seiner
Odyssee noch nicht zurückgekehrt war. Aber der Empfang wurde
registriert, und alle wichtigen Parameter sind aufgezeichnet."
„Ausgezeichnet", lobte die junge Frau mit leisem Spott.
„Läßt sich anhand der aufgezeichneten Signale
erkennen, ob sich die CREST IV auf einem geraden Kurs bewegt?"
„Auf einem Inert-Kurs", verbesserte Duryeah. „Der
Begriff ,gerade' ist zur Beschreibung von Linien durch den
Einsteinraum nicht besonders gut geeignet."
Nadim behielt ihre gute Laune. Es machte ihr nichts aus, daß
sie korrigiert worden war.
„Ich bin mir wohl bewußt, daß auch ein so
stolzes Schiff wie die CREST der Raumkrümmung folgen muß",
antwortete sie. „Aber der Inert-Kurs ist nachgewiesen?"
„Unbedingt", bestätigte Duryeah.
„Dann sehe ich keine Schwierigkeit in unserem Unternehmen",
erklärte Nadim. „Die gegenwärtige Position der CREST
läßt sich anhand der bekannten
Triebwerksparameter und der bisher empfangenen Peilsignale genau
errechnen. Die Frage ist lediglich, was wir unternehmen wollen, wenn
wir am Ort sind."
Lennox Hatt schwenkte seinen Sessel zur Seite, so daß er
Nadim vor sich
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