PR TB 191 Geisterschiff Crest IV
Standardzeit verstrichen
sind, ohne daß wir die CREST zu Gesicht bekommen haben, wissen
wir, daß wir für unsere Suche den falschen Standort
ausgesucht haben."
Mittlerweile herrschte im Labor rege Aktivität. Die während
der vergangenen Tage erzielten Rechenergebnisse wurden immer wieder
aufs neue überprüft. Nadim Abouzir führte eine lange
Serie von Variationsrechnungen aus, die darüber Auskunft geben
sollten, um wieviel man sich verrechnet hatte, wenn die eine oder
andere Dateneingabe um so oder soviel unrichtig war. Die Ergebnisse
waren beruhigend. Es gab keinen Fehler, keine Ungenauigkeit, die so
groß war, daß der HAMPTON T. die CREST hätte
entgehen können, wenn sie sich noch auf ihrem einmal
eingeschlagenen Kurs befand.
Die HAMPTON T. hatte inzwischen Sonden ausgefahren, die sich zum
Teil mehrere Lichtjahre weit vom Mutterschiff entfernten und ihre
Meßergebnisse über Hyperfunk an das Labor meldeten. So
entstand ein lückenloses Netz von Meßstationen, dem die
CREST IV unmöglich entgehen konnte.
So verstrichen fünf Tage. Die Spannung an Bord der HAMPTON T.
ließ nicht nach. Aber die Art und Weise, wie sich die Menschen
unter ihrem Einfluß verhielten, nahm zivilisiertere Formen an.
Die Hektik war gewichen. Man hatte sich damit abgefunden, daß
das Warten unter Umständen mehrere Wochen dauern werde.
Am Abend des 5. Oktober 3437 übernahm Remo Shah die Wache im
Meßlabor. Er löste Nadim Abouzir ab, die bis dahin mit
ihren Variationsrechnungen beschäftigt gewesen war. Remo war
seit Beginn des Unternehmens darauf aus, bei der jungen
Astrogationsspezialistin Eindruck zu schinden. Er ließ sich
auch diese Gelegenheit nicht entgehen.
„Hat sich während Ihrer Wache etwas Nennenswertes
ereignet?" fragte er wichtigtuerisch, nachdem er das Logbuch
eingesehen hatte.
„Nicht bis ganz zuletzt", antwortete Nadim.
„Oho! Was geschah zuletzt?"
„Da kam einer ins Labor, las das Logbuch, in dem keine
Eintragungen stehen, und fragte trotzdem, ob sich während meiner
Wache etwas Nennenswertes ereignet habe."
Mit diesen Worten schritt sie auf den Ausgang zu. Remo Shah bekam
einen roten Kopf.
„Man wird doch wohl noch versuchen dürfen, Unterhaltung
zu machen!" rief er der jungen Frau aufgebracht nach. „Aber
Sie werden sehen: Heute nacht passiert's!"
Nadim, die das Labor bereits verlassen hatte, kehrte noch einmal
um und steckte den Kopf durch die Schottöffnung.
„Passiert was?“ fragte sie spöttisch.
„Heute nacht finde ich die CREST!" schrie Remo Shah.
„Viel Erfolg!" wünschte Nadim.
Remo hörte sie lachen, als sie sich entfernte. Er ärgerte
sich über sich selbst. Und er fragte sich, wie er morgen früh
dastehen würde, wenn sich entgegen seiner Vorhersage von der
CREST immer noch keine Spur gefunden hatte.
Seine Sorgen waren umsonst.
Der 6. Oktober war erst wenige Minuten alt, da schrillten
plötzlich die Alarmpfeifen.
Eine Reihe von Ortern hatte angesprochen. Sie registrierten ein
Gebilde, das sich annähernd auf dem errechneten Kurs der CREST
mit Lichtgeschwindigkeit bewegte.
2.
Kevan Duryeahs erste Reaktion war, den Befehlsimpuls abzustrahlen,
der den Autopiloten des Flaggschiffs dazu veranlaßte, auf
Bremsbeschleunigung umzuschalten. Die CREST IV hätte darauf mit
einem Bestätigungssignal antworten sollen.
Das Ausbleiben des Signals bildete den ersten Hinweis, daß
hier nicht alles so war, wie es sein sollte.
Duryeah leitete seine Aktionen vom Kommandostand aus. Er ließ
Remo Shah zu sich rufen.
„Haben Sie die Orterergebnisse analysiert?" fragte er.
Remo Shah war die Gestalt gewordene Verlegenheit. Er wand sich und
druckste; aber schließlich kam es heraus:
„Ja, das habe ich getan."
„Und - was?" drängte Duryeah. „Haben wir die
CREST, oder haben wir sie nicht?"
„Ich fürchte, wir haben sie nicht, Sir",
antwortete Remo, nachdem er sich lange genug gewunden hatte.
„Sondern was haben wir?!"
Remo sah den Oberst nicht an. Er hielt den Blick zu Boden
gerichtet, während er erklärte:
„Das Objekt hat eine Masse von rund fünf Milliarden
Tonnen. Es kann daher unmöglich die CREST sein."
Die CREST IV besaß eine Ruhemasse von rund sechshundert
Megatonnen. Da sie sich jedoch im Bereich hochrelativistischer
Geschwindigkeiten bewegte, mußte ihre
Masse jetzt um den Alpha-Faktor größer sein, mithin
sechshundert Milliarden Megatonnen. Das Objekt, das man soeben
geortet hatte, war demnach wesentlich weniger massiv als das
ehemalige Flaggschiff.
Kevan Duryeah
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