PR TB 227 Wolken Des Todes
zu der Maschine.
„Mit einiger Wahrscheinlichkeit greift jemand oder etwas aus
dem All ein und löscht Speicher. Und dabei nimmt es in Kauf, daß
Atlan stirbt." Hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit
dieses Statements. Mitten in der Durchführung des internen
Prüfprogramms schrillten Glocken, heulten Sirenen, erschienen
leuchtende Schriften auf den Bildschirmen. MASTERCONTROL schrieb: ICH
WERDE ABGESCHALTET. JEMAND ODER ETWAS MANIPULIERT MICH, denn... Aus.
Fluchend stellte Regier Chavasse fest, daß trotz seiner
exzellenten Ideen der tote Punkt erreicht war. Zwar bedeutete diese
Abschaltung um Mitternacht nicht, daß alle Computer des
Verbundes zerstört waren - aber mit Sicherheit waren viele
Informationen für alle Zeiten vernichtet. Eine ferne Idee, nicht
faßbar und vage wie ein Nebelstreif, zeichnete sich irgendwo in
seinen Gedanken und Erinnerungen ab. Mitten in der Revolution der
Sub-Computer gegen ihren Herrn, MASTERCONTROL, hatte eine
übergeordnete Macht eingegriffen. Oder war es ein Blackout der
Energieversorgung? Chavasse griff nach der Tastatur des Interkoms und
verlangte die Wachstation neben Atlans Abteil in der
Überlebensstation.
„Hier Chavasse", sagte er, nachdem das computerisierte
Gerät nach siebzehn Fehlverbindungen endlich in den gewählten
Raum schaltete. „Wer hat heute Nachtwache?"
Er sah vor sich die müden, angespannten Gesichter von Cyr
Aescunnar, dem Historiker, und Scarron Exmundsson, der aktuellen
Freundin des genesenden Arkoniden.
„Ihr wißt", fragte er, „was los ist?
MEDO-CONTROL verteidigt mit dem Rest der Kapazität das Leben
deines Freundes, Scarron."
„Bis soeben. Gerade sind die Notaggregate angesprungen."
„Ich weiß. Laßt ihn weitersprechen und vergeßt
für einige Zeit die Überwachung durch den Computer. Atlan
müßte inzwischen so weit wiederhergestellt sein, daß
er eine Stunde oder zwei überlebt. Alle mechanischen Anlagen wie
Pumpen, Radiatoren und Gebläse funktionieren, ja."
„Du weißt, daß er eben mit einem neuen Bericht
angefangen hat?" flüsterte Scarron aufgeregt. „Ja. In
welchem Jahrhundert befindet er sich?"
„Das Mittelmeer-Inferno fand etwa fünfzehnhundert vor
Christus statt", erwiderte der Geschichtswissenschaftler. „Wir
haben noch zu wenig Anhaltspunkte, aber ich schätze, daß
seine Geschichte rund eintausend Jahre vor der Zeitenwende in
Zentralafrika angefangen hat. Ich habe Angst, daß die Bänder
gelöscht werden, so wie unsere Bibliothek. Wir lassen einige
einfache Recorder mitlaufen. Scarron überträgt alles in
Kurzschrift."
„Eine vorzügliche Idee", lobte Chavasse grimmig.
„Ich melde mich wieder, wenn ich helfen kann. Klar?"
„Danke, Rogier!"
„Schon gut!"
Um 23 h 59 m 45 s, am 20.09.3561 hörten sämtliche
Computer des riesigen Verbundnetzes zu arbeiten auf. Mitten in der
Nacht bemerkten nur wenige Menschen das Chaos. Alternativen für
die manipulierten Rechner gab es nicht; fiel MASTERCONTROL aus, waren
nicht nur das Leben Atlans, sondern auch der lückenlose Ablauf
aller Funktionen gefährdet, auf die sich das Neue Einsteinische
Imperium und der Planet Gäa stützten. Noch konnte Rogier
Chavasse seinen Einfall nicht gedanklich fassen und festhalten, und
noch lange konnte er ihn nicht verbalisieren.
Und jede Sekunde vergrößerte das Unheil.
Rogier Chavasse verfluchte vom Abakus über Pascual, von
Norbert Wiener über die Erfinder des Mikrochips, vom
Zentralplasma der Hundertsonnenwelt bis zu NATHAN alles, das auch nur
entfernt etwas mit Rechenmaschinen zu tun hatte. Dann holte er eine
verbogene, in Folie verpackte Zigarre aus der Brusttasche hervor, riß
eine Klappe der Pultverkleidung auf und erzeugte einen Lichtbogen, an
dem er das dünne schwarze Ding entzündete. Er rauchte es
entgegen dem Rat der Ärzte und MEDO-CONTROL. Aus den
Qualmwolken, von denen die Klimaanlage fast überfordert wurde,
schien sich wie von Geisterhand sein überraschender Einfall zu
manifestieren.
„Glücklicherweise ist es nicht die Logik der
Maschinen", brummte Chavasse, „die unser Leben beherrscht.
Das Ganze ist entschieden mehr wert als die Summe aller seiner
verfluchten elektronischen Teile. Ha! Eine Herausforderung!"
Er lehnte sich zurück, legte seine Finger auf die Tasten und
begann zu arbeiten. Nur er kannte die verborgenen Schaltungen, und
die meisten gehorchten seinen flinken, dürren Greisenfingern.
Während er nachsann, prüfte, rechnete, kontrollierte und
den unsichtbaren Gegner zu fassen versuchte, redete
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