PR2606-Unter dem Stahlschirm
emporgestiegen war, begann der Tag mit seiner neuen Sprache.
Eine Erschütterung durchlief den SKARABÄUS.
»Keine Ahnung, was das war, aber der Prallschirm ist zusammengebrochen!«, rief Lanczkowski.
»Warte!« Jenke schwang sich aus ihrem Sessel und hastete quer durch die Zentrale. »Wir nennen dir das Wort!«
Sie wusste nicht, ob der Wächter sie hören konnte. Dass der Translator das Gesagte automatisch in die Tag-Sprache Favadarei übertrug, war das eine, dass ihre Antwort womöglich nur über Funk gegeben werden konnte, das andere.
»Alles in Ordnung!«, hörte sie Pifa rufen. »Wir sind auf Sendung, exakt auf der Eingangsfrequenz!«
Mit fliegenden Fingern öffnete sie das Wandfach, in dem sie Zacharys Kleinpositronik deponiert hatte. Das Aufzeichnungsgerät gehörte nun Aiden, der auf der BOMBAY wartete. Möglicherweise war es die einzige Hinterlassenschaft seines toten Bruders. Zachary hatte einige Notizen und Gedanken aufgesprochen, aber es enthielt noch mehr, nämlich das von Shimco Patoshin mehrmals bis zur Perfektion wiederholte Kodewort.
Eine zweite heftige Erschütterung durchlief die VAHANA. Ein schriller, rasend schnell intensiver werdender Ton erklang, der Jenke durch Mark und Bein ging. Sie rang nach Atem, glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Grelle Schlieren tanzten vor ihren Augen.
Zitternd vor Anspannung aktivierte sie endlich den Wiedergabemodus der Miniaturpositronik. Schwer taumelte sie gegen die Wand. Vergeblich suchte sie nach einem Halt, als der Boden unter ihr anscheinend in Zuckungen geriet.
Wie durch einen dichter werdenden Schleier hörte sie Shimco Patoshins Stimme. Mehrmals wiederholte er das Wort. Sternenfall. Jenke Schousboe hatte schon während der Aufzeichnung keinen Unterschied in der fremd klingenden Artikulation erkannt; sie hörte auch jetzt nicht, worauf es ankam.
Unvermittelt wich der aufwühlende Schmerz von ihr.
Tief atmete die Expeditions-Kommandantin ein.
Der Weg zur Planetenbrücke war frei.
4.
Im Licht der Morgensonne wirkte das Land seltsam unwirklich und ohne nennenswerte Konturen. Als habe der lässige Pinselstrich eines Künstlers lediglich den Entwurf eines Gemäldes erschaffen sollen, ein Bild ohne Tiefe und nur mit angedeuteter Farbgebung. Selbst ein Aquarell barg deutlich mehr Nuancen.
Möglich, dass das helle Sonnenlicht ein Übriges dazu beitrug, dass Jenke Schousboe diesen Bereich der Planetenbrücke bestenfalls wie eine Konstruktionsskizze empfand. Was sie aus der Distanz heraus als Seen und Vegetationsinseln zu erkennen geglaubt hatte, erwies sich von Nahem bestenfalls als Gerüst, eine undefinierbare Leinwand, auf die der Maler seine Fantasie erst schichtweise aufbringen musste, um Plastizität zu erzeugen. Bislang vermischten sich Pastelltöne und flacher Schattenwurf lediglich zur Camouflage.
»Ödland«, murmelte Jenke Schousboe. Sie erwartete keine Antwort.
Die Favadarei schwiegen ohnehin, denn die Sonne war erst zur Hälfte über den Horizont gestiegen. Lichtfinger huschten durch die höheren Schichten der Atmosphäre, die zumindest in diesem Bereich der Zylinderwelt kaum mehr als einzelne Schleierwolken entwickelte. Manchmal brach sich das Licht in grellen Farbschlieren, die matte Reflexe über das Land warfen. Aber diese Erscheinungen lösten sich jeweils schnell wieder auf.
Die Ortung arbeitete nicht.
Auch der Versuch, Hyperfunkverbindung zur BOMBAY aufzunehmen, scheiterte kläglich. Eine kurze Nachricht im Ultrakurzwellenbereich blieb unbeantwortet.
Jenke vermutete, dass ihr gesprochener Text die Antennen des EXPLORERS gar nicht erst erreicht hatte.
Sanft glitt der SKARABÄUS dahin.
»Eine friedliche, unvollendete Welt«, kommentierte Lanczkowski. Die Hände im Nacken verschränkt, saß er hinter den spärlichen Kontrollen der Verteidigungssysteme und langweilte sich.
Die Expeditions-Kommandantin beobachtete ihn. Sie hatte seine Anspannung registriert, seine Bereitschaft, notfalls mit bloßen Fäusten gegen alle Bedrohungen vorzugehen. Dann sein Sträuben gegen den Eindruck des Ausgeliefertseins. Und nun: Lanz' souveräne Gelassenheit war zurück, dieser Ich-stehe-über-den-Dingen-Ausdruck.
Er bemerkte, dass sie ihn abermals musterte, und lächelte sanft, aber seinem kaum merklichen Nicken haftete etwas Misstrauisches an. »Lanz« misstraute der Ruhe und dem scheinbaren Frieden. Sein Blick, so entspannt er wirkte, huschte schon wieder über die Holos und das eintönige Land, das sie zeigten.
»Unvollendet ...« Alban
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