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PR2606-Unter dem Stahlschirm

PR2606-Unter dem Stahlschirm

Titel: PR2606-Unter dem Stahlschirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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1.
     
    Etwas erwachte unter dem Eis.
    Es bewegte sich, wühlte sich frei und spürte dabei die eigene Kraft wachsen. Über ihm tobte der Sturm mit tosender Wildheit.
    Aber da war mehr als nur Schnee und Eis ...
    Es ahnte nicht, dass es lange Zeit erstarrt im ewigen Frost ausgeharrt hatte, hätte mit einem solchen Begriff auch nichts anzufangen gewusst. Es folgte einer einzigen bedeutenden Regung, die es antrieb: Hunger.
     
    *
     
    »Starker Leistungsabfall!«, meldete der Pilot. »Immer mehr Energie verschwindet ... Das Prallfeld verliert an Dichte, Flughöhe sinkt.«
    Ein schrilles Heulen durchbrach die Schallisolierungen des SKARABÄUS. Die Expeditions-Kommandantin versteifte sich in ihrem Sessel, hob beide Hände zu den Ohren und drückte mit den Zeigefingern auf die Knorpel vor ihren Gehörgängen. Das Geräusch schien langsam in den Ultraschallbereich abzugleiten. Allerdings vermochte sie nicht zu sagen, ob dieses Heulen tatsächlich von außen kam oder in ihr selbst aufstieg.
    Sie hielt abrupt inne, als sie Apatou Boussets forschenden Blick bemerkte. »Ernsthafte Probleme, Jenke?«, fragte der Xeno-Biologe.
    »Dieses Geräusch geht mir durch und durch ...« Jenke Schousboe ließ ihren Blick durch die Zentrale huschen. Für acht Besatzungsmitglieder war der »Käfer« ausgelegt, derzeit waren sie zwölf, und die Enge ließ sich keinesfalls leugnen. So spindeldürr die drei Favadarei auch waren und sosehr sie sich Mühe gaben, nirgendwo im Weg zu stehen, ihre Größe allein hatte schon etwas Erdrückendes.
    Das schrille Heulen verstummte bereits wieder. Nur wenige Sekunden lang hatte es angehalten.
    »Akustische Außenerfassung?«
    »Was willst du hören? Das Toben des Eissturms?«
    »Da ist mehr!«, sagte Jenke heftig. »Wir haben es schmerzlich genug erlebt. Also ...?«
    »Der Sturm und die Eiskristalle schleifen den Boden ...«
    »Ein Schrei! Hast du den Schrei nicht gehört? Nur für Sekunden, dabei immer schriller und ...«
    Und was? Der Schrei einer hungrigen Kreatur? Jenke sah dem Mann im Pilotensessel an, dass er nicht wusste, was sie meinte. Die anderen ebenso wenig. Also doch Einbildung? Weil Zacharys Tod sie weit mehr belastete, als sie sich jemals eingestehen würde?
    Ein Leichentuch lag rund um den SKARABÄUS ausgebreitet – eine leblose und scheinbar unberührte Wildnis. In Agonie erstarrt; zeitlos. Die Sicht reichte höchstens einige Dutzend Meter weit.
    Flughöhe?
    Die Anzeige vor ihr schwankte zwischen zehn und zwanzig Metern. Es gab kaum Messreflexe, und wenn, hatten sie lediglich etwas schemenhaft Unwirkliches.
    Geschwindigkeit?
    Fast schon Stillstand über Grund. Der »Käfer« war flügellahm geworden; mit wenigen Metern in der Sekunde kroch er dahin.
    Wieder hörte Jenke den Schrei, eisig kalt und durchdringend. Sie presste sich die Hände auf die Ohren: Dieser Schrei war voll ungezähmter Wildheit und hungriger Gier ...
     
    *
     
    »Weg von hier, egal wie!«, wollte Jenke Schousboe rufen. Falls die Technik vollends versagte, musste eben ein Spinnakersegel gesetzt werden – auf Kufen würde der SKARABÄUS übers Eis gleiten, der Planetenbrücke entgegen.
    Sie brachte keinen Ton hervor. Die Worte gefroren auf ihren Lippen.
    Das war auch nicht mehr wichtig, genauso wenig wie alles andere um sie herum. Der flüchtige Eindruck, dass Abraham Pettazzoni aufsprang und auf sie zustürmte, verwischte zur Bedeutungslosigkeit. Ebenso, dass Marica Widengren nach einer Favadarei-Harpune griff ... Konturlose Kälte zerfetzte Jenkes letzten Gedanken an die Gefährten und die wohlige Wärme im Schutz des SKARABÄUS' ...
    Einzig quälender Hunger bestimmte ihre Welt. Bebend beobachtete sie den länglichen Schemen, der schräg über ihr schwebte, gerade so hoch, dass sie ihn mit einiger Anstrengung packen konnte. Dieses Ding roch fremd. Es stank geradezu nach Ungenießbarkeit. Dennoch verhieß die pulsierende Wärme in seinem Inneren wohlige Sattheit.
    Alle Sehfäden auf die schützende, stinkende Hülle zu fixieren kostete extreme Anstrengung. Sie bebte vor Erregung, etliche ihrer Arme durchbrachen die dicke Eiskruste, krümmten sich in die Höhe und packten zu.
    Weitere Arme wirbelten hoch, griffen von allen Seiten nach dem Ding. Es neigte sich zur Seite, kam tiefer, krachte in das aufgewühlte Eis – und zerfetzte einige ihrer Arme.
    Greller Schmerz explodierte in ihren Wahrnehmungen.
     
    *
     
    Ein heftiger Schlag traf ihr Gesicht. Trotz ihrer weit aufgerissenen Augen verstand Jenke Schousboe

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