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PR2607-Der Fimbul-Impuls

PR2607-Der Fimbul-Impuls

Titel: PR2607-Der Fimbul-Impuls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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1.
    Terrania
    9. September 1469 NGZ, 22 Uhr
     
    Shanda Sarmotte spürte Sorge und Dunkelheit tief unter sich. Sie schwebte fast bewegungslos über der Ruine, einem erstarrten See aus Metall, Glassit und Plastik. Die starken Scheinwerfer von Bolandens Einsatzkommando erleuchteten das Trümmerfeld, das bis vor einer Stunde der Wohnturm Gayatri C gewesen war.
    Die Medoroboter harrten auf ihren Prallfeldern der Befehle. Die Abstrahlfelder der Desintegratorfräsen schimmerten in einem hauchdünnen Grün.
    Shanda lebte seit sechs Jahren auf Terra. Den größten Teil dieser Zeit hatte sie in Terrania City verbracht. Nicht genug, um jeden Wohnturm oder auch nur jeden Stadtteil kennenzulernen.
    Die Sorge, die sie spürte, hatte ein Gesicht, ein rundes und junges Gesicht mit weit aufgerissenen Augen, den Tränen nah. Sie spürte die Angst als Herzschlag. Das Pochen füllte den Leib an und drohte ihn förmlich zu sprengen. Das Gesicht aber war wie in Kummer erstarrt.
    Sie spürte, wie sich die Zunge im trockenen Gaumen dieses Kopfes, der tief unter ihr im Schutt begraben lag, bewegte, wie sie über die Lippen fuhr. Sie spürte, wie die Zunge und die Lippen einen Namen artikulierten, und sprach ihn nach, und die Sorge und ihr Gesicht bekamen einen Namen: Cevim.
    »Cevim Cevim Cevim.«
    »Hast du etwas entdeckt?«, fragte eine Stimme in ihrem Helm.
    Sie nickte. »Ja. Es ist ein Kind. Es hat Angst.«
    »Verstanden«, sagte die Stimme.
    Sie dachte: Wir haben alle Angst. Aber das Kind hat Todesangst. Kein Kind sollte Todesangst haben. Niemals.
    »Ein Kind«, wiederholte die Stimme. »Hast du es schon lokalisiert?«
    Cevim Cevim Cevim.
    »Sie heißt Cevim«, sagte sie. Sie ließ den SERUN, in dem sie steckte, ein wenig hin und her pendeln, konzentrierte sich, richtete all ihre paranormale Aufmerksamkeit auf das Trümmerfeld hundert Meter unter sich, sondierte, wo die Angst stärker, wo schwächer war. Sie spürte vier weitere Flecken Angst: zwei beieinander, nah der Oberfläche; zwei andere vereinzelt. Starke Vitalzeichen. Weniger Angst als bei dem Kind.
    »Vier Erwachsene und das Kind«, sagte sie.
    Keiner der Flecken leuchtete so vor Angst wie Cevim. Obwohl Cevims Angst tiefer schien, tief im Abgrund der Trümmer, die einmal Gayatari C gewesen waren, ein Wohnturm im Norden von Terrania City.
    »Wo müssen wir hin?«, drängte die Stimme. »Shanda? Wo sollen wir hin? Gib uns die Koordinaten.«
    Die vier Flecken Angst und der Flecken Cevim mussten etliche Dutzend Meter voneinander entfernt liegen. Sie hob den letzten Rest ihres paranormalen Visiers und fühlte, wie sie in Cevims Geist gezogen wurde. Sie spürte die weit aufgerissenen Augen, die in die unterirdische Nacht starrten, sie spürte Cevims Herzschlag im eigenen Hals, sie sah mit erschreckender Eindringlichkeit das kindliche Gesicht, wie es sich selbst in Erinnerung hatte.
    Für einen Moment glaubte sie, das starre Gesicht sei tot. Unsinn. Dann hätte sie keine mentalen Impulse mehr empfangen. Vor Schreck hatte sie ihren Geist in Schutz genommen.
    Warum hatte das Kind sich so deutlich vor dem inneren Auge? Hatten Kinder in diesem Alter so exakte Eigenbilder?
    Shanda Sarmotte hob ihr Visier wieder, ohne den telepathischen Kontakt zu verlieren. Dann versuchte sie, ein Muster in der Trümmerlandschaft zu erkennen.
    Aussichtslos.
    »Andraes? Denk bitte einmal an das Verfahren nonverbaler Datenübermittlung im SERUN.«
    »Ja«, sagte Andraes Bolanden. Der Einsatzleiter konzentrierte sich. Shanda begann mit der Wissensentnahme.
    Die Leute vom Terranischen Institut für Paranormale Individuen – kurz TIPI – nannten sie eine Informationsextraktorin. Oder Zerebral-Einbrecherin. Dabei würde eine Einbrecherin Schaden anrichten – wenigstens neuronalen oder mentalen Schaden.
    Shanda Sarmotte aber tauchte in den fremden Geist ein wie in ein flüssiges Medium. Der Taucher verletzt das Wasser nicht, in das er taucht.
    Bolandens Gedanken waren konturiert und exakt – wenigstens an der Oberfläche. Im Fundament seiner Vorstellung dagegen pochte eine tiefgreifende Beunruhigung.
    Shanda warf neugierig einen telepathischen Blick in diesen Untergrund seines Bewusstseins.
    Zu ihrer Überraschung stieß sie auf das Bild eines großen schlanken und – da unbekleidet – unverkennbar weiblichen Körpers. Der Kopf drehte sich, und sie sah ein schmales Gesicht mit grünblauen Augen – ihr eigenes Gesicht. An einer ziemlich verborgenen Körperstelle leuchtete ein Tattoo, von dem sie gar nicht

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