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PR2612-Zielpunkt BASIS

PR2612-Zielpunkt BASIS

Titel: PR2612-Zielpunkt BASIS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marcus Thurner
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vier Tage lang sich selbst zu überlassen, mit Sid González einen Greyhound-Bus zu besteigen, dreitausend Kilometer über bröckelnde Highways zu holpern, eingepfercht in eine Kabine, die enger und stickiger war als die eines Raumschiffs, um einem Ereignis beizuwohnen, das ihm bestenfalls als ein absurder Anachronismus aus dem vorigen Jahrtausend anmutete. Die Träume, die sich einst an die Raumfahrt geknüpft hatten, waren längst ausgeträumt.
    »Rhodan und Bull!«, rief Sid. »Habe ich es nicht gleich gesagt?«
    Rechts neben der Tribüne war ein großes LED-Display zum Leben erwacht. Es zeigte die vier Astronauten in Nahaufnahme. Sie trugen Raumanzüge, hatten die Helme unter die Arme geklemmt. Schweiß stand den Männern in Perlen auf der Stirn. Die Sonne war erst vor einer knappen Stunde aufgegangen, aber in der Wüste Nevadas entfaltete sie im Juni eine überwältigende Kraft.
    Marshall fragte sich, wieso man die Astronauten auf diese Weise quälte. Wieso fuhr man sie nicht einfach zu der wartenden Rakete? Dieser Marsch war sinnlos.
    Sinnlos wie dieser Flug, der sich hochtrabend »Mission« nannte.
    Lautsprecher knackten, und eine Stimme hallte blechern über die Tribüne. Sid erkannte sie sofort.
    »Lesly Pounder!«, rief er. »Der Flight Director der NASA. Das mit der NOVA-Rakete war seine Idee!«
    Pounder gab eine Pressekonferenz, erklärte Journalisten das Wie und Warum der Mission. Seine Stimme wurde aus einem Saal übertragen, der sich irgendwo in dem Gewirr von Zweckbauten befinden musste, das sich am jenseitigen Ende des Startfelds anschloss. Vielleicht in der spitzen Nadel des vierzigstöckigen Kontrollturms, der aus dem Gewirr herausstach?
    John Marshall behagte die Stimme nicht. In seinem früheren Leben, bevor er den Shelter gegründet hatte, war er Investmentbanker gewesen. Er hatte seine Tage damit verbracht, vor Displays zu kauern und Gelder hin- und herzuschieben, abstrakt erscheinende Zahlenkolonnen, die tatsächlich Menschenschicksale bedeuteten. Die übrige Zeit hatte er in Konferenzen verbracht, in denen man ihm von todsicheren Investments erzählt hatte, die sich zumeist als Spekulationsblasen entpuppt hatten.
    Dieser Pounder log. Er verschwieg den eigentlichen Kern des Flugs. Marshall war sich sicher. Er hatte von jeher ein unheimlich anmutendes Gespür für Lügen gehabt.
    »John, gleich geht es los! Sieh nur, es geht los! Gleich ist der Start!«
    Sid hüpfte vor Aufregung. Die Sonne spielte auf den Chromstreifen, die der Junge an seiner Jacke befestigt hatte, damit sie mehr nach Astronaut aussah. Ein Notbehelf. Sid hatte sich im Shelter einen kompletten Raumanzug geschneidert und hatte ihn mit nach Nevada Fields nehmen wollen. Marshall hatte es ihm verboten. Die ganze Angelegenheit war lächerlich genug ohne Raumanzugkostüm.
    Die Sonne funkelte auf den Chromstreifen und ...
    ... und neben Sid. Als stieben Funken aus ihm heraus.
    Marshall ruckte herum, musterte den Jungen. Sid bemerkte es nicht, seine ganze Aufmerksamkeit galt dem Lift. Da waren keine Funken. Unsinn!, sagte er sich. Pure Einbildung! Du bist müde und überreizt und am letzten Ort, wo du es aushältst: unter Tausenden von Menschen!
    »Spark« nannten die anderen Kinder Sid: »Funke«. Um ihn aufzuziehen, weil er so dick und langsam und ungeschickt, so anders war, hatte Marshall lange geglaubt. Bis ihm Sue eines Tages gesagt hatte, was wirklich hinter dem Spitznamen steckte: Sid schlug Funken, hatte Sue behauptet, nur manchmal, nur einen Moment lang. Man musste ihn richtig ärgern, ihn richtig wütend machen, dann geschah es.
    Marshall hatte es abgetan, auch wenn es von Sue gekommen war, die in ihren Einschätzungen selten danebenlag. Aber Funken? Die Kinder im Shelter waren traumatisiert, ohne Ausnahme. Ihr Verhältnis zur Wahrheit war – nach herkömmlichen Begriffen – entspannt.
    »Der Startturm ist so weit weg!«, sagte Sid, zum ersten Mal seit Tagen leicht verstimmt. »Man kann kaum was erkennen!«
    »Dafür ist das Display da. Ist es dir nicht groß genug?«
    »Schon. Aber es ist nicht ... echt!«
    »Das ist auch gut so. Die Triebwerke verursachen eine glühend heiße Druckwelle. Das hast du mir selbst gesagt.«
    »Aber nicht in alle Richtungen! Und die Tribüne ist viel weiter weg als nötig!«
    »Tut mir Leid, das kann ich nicht ändern«, entgegnete Marshall und ärgerte sich über sich selbst. Wieso musste er sich immer für alles verantwortlich fühlen? Wieso konnte er es so schwer aushalten, wenn andere

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