PRIM: Netzpiraten (German Edition)
dem grell erleuchteten Restaurant waren es von dort nur wenige Schritte, aber er musste trotzdem rennen, um nicht zu nass zu werden.
In einer Ecke scharten sich Gäste um einen Fernseher. Ein Baseballspiel der Major League wurde übertragen. Deshalb gab es keine aufdringliche Musik, die eigentlich zur festen Einrichtung in diesen Etablissements gehörte. Talburn war froh darüber. Er fand einen freien Tisch in der gegenüber liegenden Ecke. Er unterbrach die Kellnerin, gleich nachdem sie ihren Namen genannt und begonnen hatte, die Speisekarte herunterzuleiern. „Ich nehme Bratkartoffeln mit Spiegeleiern und Salat, Sue. Italienisch“, fügte er schnell hinzu, als sie anfangen wollte, die Dressings aufzuzählen. Sue schenkte ihm Kaffee ein. Sie sah ihn dabei so an, als ob sie erkannt hätte, dass er Probleme hatte, und als ob sie ihn trösten könnte. Talburn fragte sich, ob die Kellnerinnen die Kaffeekannen jemals aus der Hand ließen. Dann kehrten seine Gedanken zurück zu Ann-Louise Norwood. Zu der Ann-Louise, die er nicht vergessen konnte, die aber offensichtlich einen ganz anderen Namen hatte.
Am Tag nach dem Gespräch mit seinem Chef war sie aufgekreuzt. Typisch für Wayne Ferrentil, dass er sie eingestellt hatte, ohne den Personalchef, den Chefredakteur und vor allem ohne ihn selbst zu fragen, auch wenn es nur für eine von ihr selbst bestimmbare, zweifellos kurze Zeit war. Er brauchte sicherlich nicht bei allen Entscheidungen gehört zu werden, jedenfalls nicht aus Sicht des Herausgebers oder der Eigentümer, aber schließlich sollte sie in seiner Abteilung arbeiten. Da hätte er eigentlich früher ein paar Informationen erhalten müssen.
Sie hatte eine der Programmiererinnen nach ihm gefragt und war dann zielstrebig auf seinen Glaskasten zugelaufen. Verdammt, wo ist Ron, hatte er gedacht. Trotz des Betriebs im Restaurant fiel es ihm leicht, sich in die damalige Situation zu versetzen und die Ereignisse zu rekapitulieren.
Er sah sie kommen. Ihr Aussehen und ihren Gang würde er nicht so schnell vergessen. Sie kam herein, stellte sich vor und sagte, dass er ja vom Herausgeber, Mr. Ferrentil, über ihr Kommen unterrichtet sei, bevor er auch nur hallo sagen konnte. Das hätte er allerdings ohnehin nur mit Verzögerung getan, denn Ann-Louise Norwood war eine der Frauen, deren Anblick Männer erst einmal sprachlos machte.
Er erinnerte sich an diesen Moment. Er sah nur ihr Gesicht. Die elegante Kleidung nahm er erst viel später wahr. Das Alter war schwer zu bestimmen, irgendwo zwischen sechsundzwanzig und dreiunddreißig. Augen wie grauer Granit, groß, unendlich fest. Klare, helle Gesichtszüge. Dezentes Make-up, Zähne wie bei den Zahnarztfrauen in der Fernsehreklame. Blonde Haare in perfekter Unordnung. Und immer wieder diese Augen, die einen festhielten und nicht erlaubten, woandershin zu sehen.
Erst am Abend war ihm bewusst geworden, dass er bei der Begegnung mit Ann-Louise Norwood zum ersten Mal nicht sofort an die Frau hatte denken müssen, die er geliebt und verloren hatte. Er hatte keine neue Beziehung eingehen können, obwohl sich immer wieder Gelegenheiten dafür boten. Auch ohne Näheres über ihn zu wissen, fanden die Frauen ihn offenbar attraktiv und begehrenswert. Beim Joggen im Park liefen sie neben ihm her und versuchten, ihn in Gespräche zu verwickeln. Und im Fitness-Studio sollte er sie unbedingt bei ihren Übungen anleiten und unterstützen.
Die Selbstanalyse beunruhigte ihn und ließ ihn lange nicht einschlafen. Er konnte seine Gedanken nicht ordnen. Aber ihm war klar, dass dies Anzeichen für eine Veränderung waren. Er würde sich nicht länger gegen eine neue Bindung stemmen, nicht länger das Gefühl haben, sich wehren und schützen zu müssen.
Ann-Louise brauchte die Praxis bei TODAY für ihre Promotion, hatte sie behauptet. Dabei ging es um die Organisation von Datenbanken, besonders um die automatische Anbindung an fremde Systeme und Netzwerke über das Internet zum Zweck der Aktualisierung der Datenbestände.
Er wies ihr den Arbeitsplatz mit Terminal und Netzzugang von Sarah Winter zu, die gerade im Urlaub war. Sie würde den Platz öfter wechseln müssen, hatte er ihr gesagt, wenn sie länger bleiben wollte. Die Frage, die er mit dieser beiläufigen Bemerkung anklingen ließ, ignorierte sie. Er bat Ronald Limpes, Ann-Louise unter die Fittiche zu nehmen. Ron war der einzige außer ihm selbst, der Zugang zu allen Programmen und Verfahren hatte, und der genau wusste, wann er zu
Weitere Kostenlose Bücher