Prinz-Albrecht-Straße
Verräterin! Eine …
Die erste Ortschaft flog vorbei. Stahmer brauchte nicht auf die Karte zu sehen. Jetzt nach rechts; zwei, drei Stunden vielleicht noch konnte er den Wagen benutzen. Dann mußte er ihn stehenlassen, zu Fuß gehen. Wenn sie Georg fassen? Er wird schweigen. Ich auch. Aber Ira muß weg. Sofort. Sie dürfen sie nicht greifen. Er bohrte die Zähne in die Unterlippe. Ich werde mit ihr abrechnen, dachte er. Aber nicht hier, drüben, in Deutschland. Wir werden ihr zeigen, was es heißt, uns in den Rücken zu fallen …
Die junge Frau schreckte hoch. Sie war so verstört, daß sie sprechen wollte. »Ich habe …«, begann sie zögernd, »mit ihm …«
»Halten Sie den Mund!« brüllte Stahmer Ira an.
»Ich meine … Formis …«
»Sie sollen Ihre Schnauze halten!« fuhr der Agent sie brutal an. Dann zwang er sich zur Ruhe. »Hören Sie …«, sagte er, »es ist nichts geschehen … Sie sprechen mit niemandem … mit keinem Menschen darüber …« Seine kalten Augen stachen in ihre Gesichtshaut. Er langte in die Brieftasche, zog ein Kuvert heraus.
»Ich setze Sie gleich ab«, wandte er sich an Ira. »Sie fahren mit dem Zug bis Prag … Morgen früh um acht Uhr sind Sie am Flugplatz … die Maschine der Lufthansa startet um acht Uhr dreizehn. Sie heißen wieder Ira Puch … In dem Kuvert ist Ihr Paß, Flugkarte, Geld … Verstanden?«
Auf einmal weinte die junge Frau. Der Krampf schüttelte sie. Erleichternd. Fest. Zuckend.
»Das hat uns noch gefehlt«, sagte Georg grinsend.
Stahmer starrte durch die Windschutzscheibe. Noch rührte sich nichts. Er passierte die nächste Ortschaft, die übernächste. Die Dörfer waren längst schlafen gegangen. Der kalte Schneewind trieb die Bewohner vorzeitig in die Betten.
Der Agent griff mit der rechten Hand nach Iras Arm. »Für Sie ist ja alles gleich vorbei …«, sagte er. »Was sollen Sie tun?«
»Von Prag aus nach Berlin fliegen«, entgegnete Ira.
»Und dort haben Sie mit niemandem zu sprechen … sonst …«
Der Wagen erreichte das Kreisstädtchen. Im Bahnhof war noch Licht. Stahmer hatte den Fahrplan im Kopf. Zwanzig Uhr zweiunddreißig. Geschafft, überlegte er. In vier Minuten fuhr der letzte Zug ab in die Goldene Stadt.
»Los, schnell!« herrschte er das Mädchen an.
Ira stieg aus. Stahmer sah ihr nach. Sie kann nicht gemerkt haben, daß ich ihren Verrat durchschaut habe, dachte er.
Wenn sie erst in Berlin ist …
19
Der Polizeiwagen hatte längst das einsame Hotel über der Moldau erreicht. Die Männer sprangen aus der Limousine, stürmten das Haus. Als sie auf die entsetzten Zeugen des Überfalls stießen, wußten sie, daß sie zu spät gekommen waren. Ihre Flüche rissen erst ab, als sie das Gesicht des Sterbenden sahen.
Man hatte Rudolf Formis auf die Ofenbank gelegt. Der Kommissar beugte sich über ihn. Drei Schüsse. Jeder hatte getroffen. Mit jedem Atemzug quoll ein Stück Leben aus dem verwundeten Körper. Die Decke färbte sich rot wie die Scham. Ein Arzt war unterwegs, aber er mußte zu spät kommen. Der Todeskampf hatte schon eingesetzt. Formis hielt die Augen offen. Die Pupillen glänzten fiebrig und fern.
Der Kommissar ging an das Telefon. Verbindung mit Prag. Neben ihm stand der Wirt. Sein Gesicht war entstellt. Sein Schädel schmerzte: Es galt, einen Mörder zu verfolgen, deshalb hielt der Mann durch. Der Anschluß ließ ein paar Minuten auf sich warten. Der Polizeibeamte fluchte. Dann, als ob ihm der Sterbende eingefallen sei, wurde seine Stimme weich und leise. »Haben Sie die Autonummer?«
Der Wirt schüttelte betroffen den Kopf.
»Was für ein Wagen?«
»Eine schwarze Limousine.«
»Das Fabrikat?«
»Mercedes … es waren zwei Männer und eine Frau …« Der Wirt beschrieb sie, so gut er konnte.
Endlich war die Zentrale in der Leitung. Der Kommissar gab seine Meldung durch. Er wußte, daß binnen weniger Minuten die Grenzen hermetisch abgeriegelt würden, daß man sich Menschen mit deutschen Pässen genau ansehen würde. Seine Lippen warfen sich bitter auf. Wenn ich schon diesen Mann nicht retten konnte, will ich wenigstens seinen Mörder fassen …
Der Kommissar ging mit schleppenden Schritten zur Ofenbank. Inzwischen durchsuchten seine Beamten das Haus. Das Gesicht von Formis zuckte. Es war noch spitzer geworden. Der Tod bereitete seine Maske vor. Die Augen des Sterbenden lebten auf einmal. Die Iris wirkte nicht mehr fern, sondern nah, nicht mehr starr, sondern klar.
Vielleicht sah Rudolf
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