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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Haar und Gesicht brandrot, gelb, braun, ziegelfarben, und das Schaukeln dieser von Musik in das Triebleben zurückgebannten Gehirne ging wie ein großes buntes Tulpenbeet im Winde durch den ganzen Saal, bis es sich, dahinten, im Rauch verfing. Dahinten durchbrach nur etwas Glänzendes den Rauch, ein sehr stark bewegter Gegenstand, etwas, das Arme, Schultern oder Beine, irgendein Stück helles Fleisch, bestrahlt von einem hellen Reflektor, umherwarf und einen großen Mund dunkel aufriß. Was dieses Wesen sang, vernichtete das Klavier, zusammen mit den Stimmen von Gästen. Aber es dünkte Unrat, als sei die Frauensperson selbst anzusehen wie ein Gekreisch. Ein Laut, dünn und von keinem Donner totzumachen, ging manchmal von ihr aus.
    Der Wirt stellte ein Glas vor ihn hin und wollte weiter. Unrat hielt ihn am Rock fest. »Aufgemerkt nun also, Mann! Ist jene Sängerin etwa das Fräulein Rosa Fröhlich?«
    »Tjä, das is sie nu woll. Nu genießen Sie es man, daß Sie da sind.«
    Und der Wirt machte sich los.
    Unrat hoffte gegen alle Vernunft, sie möchte es nicht sein, der Schüler Lohmann möchte nie den Fuß in dies Haus gesetzt haben, damit Unrat des Handelns überhoben wäre. Es zeigte sich ihm jäh die Möglichkeit, das Gedicht in Lohmanns Aufsatzheft sei reine Poesie, der in der Wirklichkeit nichts entspreche, und die Künstlerin Fröhlich existiere gar nicht. Unrat klammerte sich an diesen luftigen Glauben, wunderte sich, daß er so spät dazu gekommen war. Er nahm einen Schluck Bier.
    Sein Nachbar sagte prost. Es war ein älterer Bürger mit einem Bauch in einem wollenen Hemd, über dem die Weste weit offenstand. Unrat betrachtete ihn lange aus dem Winkel. Der Bürger trank und fuhr mit einer biedern Hand über den feuchten, gelblichweißen Schnurrbart. Unrat wagte es: »Das ist denn also nun das Fräulein Rosa Fröhlich, das uns da etwas vorsingt, nicht wahr, guter Mann?«
    Aber es erhob sich grade Beifall, weil die Sängerin ein Stück beendet hatte. Unrat mußte warten und dann noch einmal fragen.
    »Fröhlich?« meinte der Bürger. »Jä, wo soll ich das woll herwissen, Herr, wie die Deerns alle heißen. Hier is jä alle Naslang ’n niegen Juchheh.«
    Unrat wollte tadelnd sagen, es stehe draußen angeschrieben – aber da begann wieder das Klavier, etwas weniger laut, und er konnte verstehn: ein paar Worte, bei denen die bunte Frauensperson ihren Kleiderrock aufhob und ihn verschmitzt und schämig gegen ihre Wange drückte.
    »Wail iesch noch so klain uhnd so uhnschuhldiesch bien.«
    Unrat erkannte dies als Blödsinn und hielt es zusammen mit der stumpfen Antwort, die sein Nachbar ihm erteilt hatte. Es bildete sich in ihm Unmut: das Gefühl, verschlagen zu sein in eine Welt, die die Verneinung seiner selbst war, und ein Abscheu, der aus seinem Innersten kam, vor Menschen, die nichts Gedrucktes vor die Augen nahmen, die in einem Konzert saßen und nicht das Programm gelesen hatten! Es nagte an ihm, daß hier mehrere hundert Personen beisammen sein konnten, die nicht »aufmerkten«, nicht »klar dachten«, sich vielmehr berauschten und ohne Scham noch Furcht sich den müßigsten »Nebendingen« hingaben. Er tat einen heftigen Zug aus seinem Glase. ›Wenn die wüßten, wer ich bin‹, dachte er darauf, indes sein Selbstgefühl sich des Widerhaarigen entkleidete, milde und wohlig ward und ein wenig verschwommen – angeblasen von warmen menschlichen Ausdünstungen, dieser Dampfheizung mit Blut. Die Welt zog sich in dichteren Qualm zurück, voll ungewisserer Gebärden … Er fuhr sich über die Stirn; es schien ihm, die Frauensperson dort oben habe schon mehrmals gesungen, sie sei »klain uhnd uhnschuhldiesch«; nun war sie auch damit fertig, und der Saal klatschte, brüllte, jauchzte und trampelte. Unrat schlug plötzlich mehrmals die Hände zusammen, dicht unter seinen Augen, die es mit Staunen ansahen. Es befiel ihn eine große, unbedachte, nur schwer zu bändigende Lust, seine beiden Füße gleichzeitig gegen den Boden zu stoßen. Er war stark genug, es nicht zu tun. Aber die Versuchung erzürnte ihn auch nicht. Er lächelte heiter versonnen vor sich hin und stellte fest, das sei – demnach denn wohl – der Mensch. »Immer mal wieder – Gras fressen«, setzte er hinzu. »Ei freilich.«
    Die Sängerin kam herab in den Saal. Neben dem Podium ging eine Tür auf. Unrat nahm plötzlich wahr, daß jemand von dort ihn ansehe. Ein einziger Mensch hatte sein Gesicht ihm zugekehrt; und dieser Mensch stand

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