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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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vermeiden. Die Frau fragte: »Seit wann kennen Sie denn die Rosa? Ich hab Sie doch noch nie gesehn?«
    Unrat sagte etwas, aber das Klavier verschlang es. Die Künstlerin Fröhlich erklärte: »Er ist der Lehrer von den Jungen, die mir hier immer mang die Kleedagen sitzen.«
    »Ach so, Lehrer sind Sie?« sagte der Artist. Er trank ebenfalls, schnalzte und fand seine natürliche Gemütlichkeit wieder.
    »Sie, denn sind Sie mein Mann. Sie werden nächstens wohl sicher auch für den Sozialdemokraten stimmen, was? Wissen Sie, wenn
wir
es nich machen, können Sie auf die Aufbesserung der Lehrergehälter warten, bis Sie Läuse kriegen. Mit der freien Kunst is es grade so: Polizeiliche Belästigung und kein Geld. Die Wissenschaft –«
    Er zeigte auf Unrat.
    »– und die Kunst –«
    Er zeigte auf sich.
    »– kommen allemal aus demselben Käsegeschäft.«
    Unrat äußerte: »Dem mag nun sein, wie ihm wolle, so irren Sie doch in Ihrer ersten Voraussetzung, Mann, sintemal ich kein Volksschullehrer bin, sondern der Professor Doktor Raat vom hiesigen Gymnasium.«
    Der Mann sagte bloß: »Na prost.«
    Man nannte sich doch, wie man wollte, und wenn es irgendeinem gefiel, Professor zu spielen, war das kein Grund zur Feindschaft.
    »Also Lehrer sind Sie?« meinte die Frau freundlich. »Das is auch woll ’n ruppiges Brot. Wie alt sind Sie denn schon?«
    Unrat antwortete bereitwillig wie ein Kind: »Sieben- undfünfzig Jahre.«
    »Schmutzig haben Sie sich aber gemacht! Geben Sie man Ihren Hut her, daß wir man das Ärgste runterkriegen.«
    Sie nahm ihm seinen Maurerhut vom Schoß, reinigte ihn, glättete sogar die Krempe, rückte ihn liebevoll auf Unrats Kopf zurecht. Dann klopfte sie, und prüfte dabei ihr Werk, schalkhaft gegen seine Schulter. Er sagte mit schiefem Lächeln: »Das haben Sie – nun doch immerhin – recht brav gemacht, gute Frau.«
    Aber er empfand diesmal etwas anderes als die unlustige Anerkennung des Gewalthabers für geleistete Pflichten. Er fühlte sich hier von Leuten, denen er trotz der Nennung seines Titels offenbar noch im Inkognito gegenübersaß, mit eigentümlicher Wärme angefaßt. Ihnen verdachte er ihre Respektlosigkeit nicht. Er entschuldigte sie; es fehle ihnen sichtlich »jeder Maßstab«; und entschuldigte damit auch die Lust, die er selbst spürte, von der Widersetzlichkeit der Welt einmal abzusehen, in seiner gewöhnlichen Gespanntheit nachzulassen – abzurüsten, sei es nur auf ein Viertelstündchen.
    Der dicke Mann holte unter einem Paar Unterhosen zwei deutsche Flaggentücher hervor, schnaufte und blinzelte dabei Unrat zu, als sei er mit ihm im Einverständnis. Die dicke Frau hatte alle Schrecken verloren; Unrat hatte Muße gehabt zu erkennen, daß die scheinbare Abgefeimtheit ihres Blickes durch schwarze Malerei künstlich erzeugt war. Nur zu der Künstlerin Fröhlich fand er kein unbefangenes Verhältnis. Doch stand sie abgewendet und mit sich beschäftigt; sie nähte an ihren aufgerafften Rock ein Gewinde von Stoffblumen.
    Das Klavierstück endete mit Wucht. Es klingelte. Der Artist sagte: »Wir müssen raus, Guste.«
    Und zu Unrat, gönnerhaft: »Sehen Sie sich das man mal an, Herr Professor, wie wir arbeiten.«
    Er warf seine alte Jacke ab, die Frau ihren Abendmantel.
    Sie drohte Unrat noch mit dem Finger: »Nur immer hübsch anständig mit der Rosa. Nich wieder so temperamentvoll.«
    Da ward die Tür von draußen halb aufgemacht, und Unrat sah mit Erstaunen die beiden dicken Leute ganz unvermittelt in ein anmutiges Getänzel verfallen und, die Arme rückwärts gestemmt und den Kopf im Nacken, ein von sich selbst entzücktes Lächeln annehmen, das zu Beifall herausforderte. Wirklich ging, kaum daß sie dem Saal zu Gesicht kamen, ein erfreutes Lärmen an.
    Die Tür hatte sich geschlossen, Unrat war allein mit der Künstlerin Fröhlich. Er war in Unruhe darüber, was nun kommen würde, und schlich mit den Augen durch das Zimmer. Beschmutzte Handtücher trieben sich am Boden umher, auf dem Wege von dem Toilettenspiegel mit den Blumensträußen bis zum Tisch, neben dem er saß. Außer den zwei Weinflaschen trug der Tisch viele Gläser und Büchsen mit allerlei Fetten, nach denen es roch. Die Weingläser standen auf Notenblättern. Unrat rückte das seinige ängstlich aus der Nähe eines Korsetts, das die dicke Frau danebengelegt hatte.
    Auf einen der mit abenteuerlichen Kleidungsstücken bedeckten Stühle stützte die Künstlerin Fröhlich ihren Fuß, indes sie nähte. Unrat sah es

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