Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
befreien:
das
wolltest du!«
Ertzum murmelte: »Was hätte ich davon gehabt.«
»Wieso?«
»Geld hätte er mir keins gegeben. Er hätte mir die Kandare fester angezogen. Ich könnte Rosa jetzt nicht mal mehr sehn.«
Auch Lohmann hielt ein derartiges Verhalten des Vormunds für wahrscheinlich.
»Ich kann dir dreihundert Mark pumpen«, sagte er nachlässig. »Wenn du also mit ihr durchgehen willst –«
Ertzum antwortete zwischen den Zähnen hervor: »Danke.«
Lohmann schlug ein schwaches und böses Gelächter auf.
»Aber du hast ganz recht. Bevor man eine zur Gräfin macht, besinnt man sich doch. Und anders tut sie es wohl nicht.«
»Ich selbst würde es nicht anders gewollt haben«, sagte von Ertzum, gebrochen und schlicht. »Sie aber will nicht … Ach, das weißt du nicht. Niemand weiß, daß ich seit Sonntag ein verzweifelter Mensch bin. Es ist eigentlich zum Lachen, daß ihr mich behandelt, als wär ich noch derselbe – und daß ich mich auch so benehme.«
Sie schwiegen. Lohmann war sehr unzufrieden; er fühlte sich geschädigt, in seiner Leidenschaft um Dora Breetpoot verletzt, weil nun auch Ertzum dank dieser lächerlichen Fröhlich in eine tragische Rolle geriet. Ertzum und diese Fröhlich rückten ihm zu nahe.
»Also?« fragte er stirnrunzelnd.
»Ja. Sonntag, auf dem Ausflug nach dem Hünengrab, mit dir, Kieselack und – Rosa … Rosa ganz für mich zu haben, mal ausnahmsweise ohne Unrat: ich war so froh. Ich war meiner Sache überhaupt ganz sicher!«
»Richtig. Du warst zu Anfang in vorzüglicher Laune. Du hast das Hünengrab sogar nach Möglichkeit kaputtgemacht.«
»Ach ja. Wenn ich daran denke – als ich das Hünengrab kaputtmachte, das war
vorher,
da war ich noch ein anderer Mensch … Nach dem Frühstück waren wir so gut wie allein im Wald, Rosa und ich; denn du und Kieselack, ihr schlieft. Ich faßte mir ein Herz: im letzten Moment hatte ich doch Angst gekriegt. Aber sie hatte mich ja immer gut behandelt, ganz anders als dich … nicht wahr? … und wartete sichtlich bloß auf meine Erklärung. Ich hatte mein bißchen Geld eingesteckt und glaubte bestimmt, wir würden gar nicht mehr nach der Stadt zurückkommen, sondern gleich durch den Wald an die Station laufen.«
Er verstummte. Lohmann mußte ihn anstoßen.
»Sie liebt dich nicht – genügend?«
»Sie sagte, sie kenne mich nicht hinlänglich. Hältst du das für einen falschen Vorwand? … Sie meinte auch, wir würden ja doch gefaßt; und dann käme sie wegen Verführung eines – Minderjährigen ins – Loch.«
Lohmann kämpfte ingrimmig mit seiner Lachlust.
»So viel kalte Überlegung«, sagte er mit Anstrengung, »das ist nicht das Wahre. Mindestens ist ihre Liebe nicht auf der Höhe der deinigen. Du solltest dir deinerseits überlegen, ob du von den auf sie gesetzten Gefühlswerten nicht lieber einige zurückziehst … Hast du nicht die Empfindung, daß sie nach eurer Unterredung beim Hünengrab nicht mehr deine ganze Zukunft wert ist?«
»Nein, die Empfindung hab ich nicht«, sagte von Ertzum ernst.
»Dann ist nichts zu machen«, entschied Lohmann.
Sie waren am Hause des Pastors Thelander. Ertzum kletterte den Pfeiler hinauf zum Balkon. Unrat stand zwischen Kieselack und Lohmann und sah ihm nach. Als Ertzum in sein Fenster gestiegen war, wandte Unrat sich nachdenklich zum Gehen. Er sagte sich, daß von Ertzum, sobald es ihm einfiele, wieder hinabklettern könne … Aber er fürchtete von Ertzum wenig; er verachtete seine Einfalt.
Er führte die beiden andern Schüler zur Stadt zurück und brachte Kieselack bis in den Machtbereich seiner Großmutter.
Dann ging er mit Lohmann vor sein väterliches Haus, hörte das Tor sich schließen, sah droben Licht entstehen, wartete peinlich, bis es wieder verlosch, und ließ noch eine Weile verstreichen. Es folgte nichts mehr.
Da fand Unrat endlich den Mut, sich schlafen zu legen.
IX
Jeden Neugierigen scheuchte Unrat strenge fort von der Tür zur Künstlergarderobe. Die fremden Matrosen glaubten, er sei der »Heuerbaas«, der die Artisten gemietet habe. Wer in ihm nicht den Direktor der Truppe sah, hielt ihn für einen Vater. Dazwischen saßen die, die ihn kannten, und grinsten unsicher.
Die ersten Abende hatten sie laut gehöhnt. Unrat sah dann überlegen und unberührt über sie hinweg. Er hatte hier zuviel vor ihnen voraus. Sie fühlten das bald. Sie kamen sich bald selbst gedemütigt vor, sie, die für ihre Nickel dabeisaßen und glotzten – und Unrat
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