Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
piesackt einen, daß man blaue Flecke kriegt!« Sie hielt sich die Arme.
»In der Tat«, setzte sie, sich fassend, hinzu, »die Person fällt mir greulich auf die Nerven.«
Stehenbleibend, in Verzweiflung: »Daß Sie auch gar kein Mitleid kennen!«
Und Unrat fühlte auf einmal die Last einer täglich und fast unbemerkt gewachsenen Schuld auf sich und gar keine Kraft, sie loszuwerden.
Solange das Flottenlied stieg, bewegte sich die Künstlerin Fröhlich stöhnend durch die Garderobe.
»Gleich hat’s geschnappt! … Ich hab doch immer gesagt, ich verekel es den Dicken noch mal. Hab ich das nich gesagt? Nu hat’s geschnappt.«
Und kaum hatte das Ehepaar Kiepert den Gesang der deutschen Seehelden geendet, da schritt sie stürmisch hinaus und kreischte in den noch ganz von Patriotismus erschütterten Saal:
»Mein Mann, der is ’n Schiffskaptän
Woll auf die deutsche Flott’,
Un wenn er dun nach Hause kommt,
Dann haut er mir die –«
Erst waren alle starr; dann entrüsteten sie sich geräuschvoll; endlich ging das Vergnügen am Kontrast ihnen auf. Die Künstlerin Fröhlich war durchgedrungen mit ihrem Wagnis, sie kehrte frohlockend zurück.
Die dicke Frau war diesmal ernstlich aufgebracht.
»Wir zwei stellen uns auf’n Kopp, damit daß die Leute ’n Begriff vons Höhere kriegen. Un denn kommen Sie un verulken uns die heiligsten Güter. Wenn das nicht ’ne Gemeinheit is!«
Unrat leugnete dies, im Bunde mit der Künstlerin Fröhlich. Er behauptete, jede Richtung sei in der Kunst berechtigt; Kunst sei, was die großen Künstler machten; und das heiligste der Güter sei das Talent der Künstlerin Fröhlich. Sie ergänzte seine Ausführungen durch wenige Worte an die dicke Frau. »Sie können mir überhaupt –«
Da trat Kiepert ein und schob vor sich her einen untersetzten Mann mit einem rötlichen Haarband rund um das rotfleischige Gesicht. Der zog die Brauen in die Höhe und sagte: »Gottsdunner, Fräulein, Sie sind jä ’n dolle Deern, sind Sie jä. Huhu! Denn haut er mich auf ’n – Ich bin nämlich auch ’n Kaptän, und wenn Sie was mit mich trinken wollen –« Schon griff Unrat ein.
»Die Künstlerin Fröhlich trinkt – traun fürwahr – mit niemand. Da irren Sie, Mann. Überdies verkennen Sie sichtlich den privaten Charakter dieses Kab –, dieser Garderobe.«
»Herr, Sie spaßen woll«, und der Kapitän zog die Brauen noch höher.
»Mitnichten«, erklärte Unrat. »Vielmehr belehre ich Sie darüber, daß Sie hinausgehen müssen.«
Dem Ehepaar Kiepert ward es zuviel.
»Herr Professor«, sagte der Artist, gekränkt und polternd: »Wenn ich mir ’n Freund mit reinbring, mit dem ich eben Brüderschaft getrunken hab, das is woll meine Sache.«
Seine Frau brach endlich los: »Ob ich mir Sie nu nich bald kaufe! Keinen gibt er hier was zu verdienen, un nischt als Stank macht er un grault uns die Leute weg. Rosa, gehn Sie mal mit ’n Kapitän!«
Unrat war fahl, er zitterte.
»Die Künstlerin Fröhlich«, rief er mit einer Stimme aus der Tiefe und schielte giftig vor Angst nach ihr hin, »ist nicht eine Sobeschaffene, daß es ihr anstehen würde, Ihr Bier zu trinken, Mann!«
Sein Blick stach sie; sie seufzte.
»Gehn Sie man wieder weg«, versetzte sie, »da is ja nischt zu machen.«
Und Unrat im Triumph, plötzlich rot auf den Backenknochen, und mit einem Sprung: »Hören Sie es, Mann? Sie sagt es Ihnen selbst. Die Künstlerin Fröhlich verweist Sie ins Exil. Gehorchen Sie! Vorwärts nun also!«
Er hatte den Kapitän schon gepackt, sich in ihn eingekrallt, ihn zum Ausgang gezerrt. Der starke Mensch ließ den hektischen Ansturm ohne Widerstand über sich gehn. Er schüttelte sich nur, wie Unrat ihn losließ. Aber das war schon jenseits der Schwelle, und die Tür schloß sich heftig vor seinen erstaunten Brauen.
Der Artist schlug gewaltig auf den Tisch.
»Menschenskind, Sie sind woll –«
»Und Sie, Mann –«
Unrat kam pfauchend auf ihn zu. Kiepert bekam Furcht.
»– merken Sie sich – denn also –, daß die Künstlerin Fröhlich unter meinem Schutze steht, und daß ich nicht gesonnen bin, sie beleidigen, noch auch das Heft mir entwinden zu lassen. Wiederholen Sie sich dies des öftern! Schreiben Sie es sich auf!«
Der Artist brummte etwas, aber er sah bezähmt aus; Allmählich machte er sich davon. Die Künstlerin Fröhlich sah Unrat an und lachte laut auf; dann kam ein viel leiseres Lachen, spöttisch und zärtlich, und so, als dächte sie über ihn nach und
Weitere Kostenlose Bücher