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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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muß, wenn man bei einem ernsten Mann was machen will … Aber bald, und das erleichterte Unrat, ohne daß er sich klar ward weshalb – schob sie ihn wieder vom Stuhl fort, wie einen Packen Unterröcke.
    Einmal gab sie ihm sogar einen Backenstreich. Darauf zog sie hastig ihre Hand zurück, betrachtete sie, roch daran und versetzte starr: »Sie sind ja fettig.«
    Er errötete, hilflos. Und sie brach aus: »Er schminkt sich! Nu schlag einer lang hin! Darum hat er es so rasch herausgehabt. Er lernt es heimlich an sich selber! O Sie – Unrat!«
    Unrat machte ein entsetztes Gesicht.
    »Jawoll: Unrat!« Sie tanzte um ihn her.
    Und darauf lächelte er glücklich … Sie wußte seinen Namen, sie wußte ihn von Lohmann und den andern und wahrscheinlich schon die ganze Zeit: es schüttelte ihn heftig um, aber nicht peinlich, sondern zu Lustgefühl. Dies gab ihm einen kurzen Verdacht und eine schwache Scham ein, wieso es ihn glücklich machen könne, daß die Künstlerin Fröhlich ihn bei seinem nichtswürdigen Namen nenne. Aber, er war nun einmal glücklich. Außerdem durfte er nicht nachdenken, sondern sie schickte ihn nach Bier.
    Unrat bestellte es nicht nur; er ließ den Wirt, der die Gläser trug, durch den Saal vor sich hergehen; und dadurch, daß er den Transport des Getränkes von hinten deckte, ward verhindert, daß andere es unterwegs wegfingen. Einmal mutete der Besitzer des Blauen Engels es Unrat zu, das Bier gleich selber mitzunehmen. Die befremdete Würde, womit Unrat ablehnte, hinderte den Mann, seinen Irrtum zu wiederholen.
    Bevor die Künstlerin Fröhlich trank, sagte sie: »Prost, Unrat.«
    Dann, innehaltend: »Komisch, was, daß ich Sie Unrat nenne? Ja, eigentlich ist es komisch. Wir haben doch gar nischt miteinander. Wie lange kennen wir uns nu schon? Was die Gewohnheit alles macht … Aber nee, ich will Ihnen was sagen: Kiepert und Frau, die können mir alle Tage gestohlen werden, denen wein ich keine Träne nach. Mit Ihnen is es was anderes …«
    Ihre Augen waren allmählich sinnlich und starr geworden. Sie fragte ganz vertieft: »Aber was soll es, was
wollen
Sie?«

VIII
    Darüber dachte Unrat selber nie nach, und nur eines beunruhigte ihn, wenn er sich spät am Abend von der Künstlerin Fröhlich trennte: die Ungewißheit über Kieselack, von Ertzum und Lohmann. Die Furcht vor ihrem Treiben im verborgenen ließ ihm allmählich das Äußerste tunlich und alle zwischen den Menschen gesetzten Grenzen überschreitbar erscheinen. Draußen im Gäßchen vor dem Blauen Engel hörte er einmal ihre Schritte hinter sich. Er machte den seinigen ganz leicht, damit es ihnen nicht auffiel, wenn er stehenblieb. Hinter der Ecke lauerte er und trat unversehens mit schiefem Kopf auf sie zu. Sie prallten zurück; aber Unrat sagte ermunternd und mit giftigem Blinzeln: »Nun denn, ich sehe, daß Sie sich – immer mal wieder – einen Kunstgenuß verschafft haben. Das ist ja denn auch recht von Ihnen. Kommen Sie, wir wollen das Gehörte einmal zusammen durchgehen, dabei werde ich dann Gelegenheit haben, mich darüber zu unterrichten, wie weit Sie es in diesen Gegenständen schon gebracht haben.«
    Da die drei stehenblieben und sich in diese erschreckende Vertraulichkeit mit dem Tyrannen sichtlich nicht hineinfanden, setzte er hinzu: »Mein hierdurch über den Stand Ihrer allgemeinen Bildung gewonnenes Urteil kann auf Ihr nächstes Zeugnis – wahrlich doch – einigen Einfluß ausüben.«
    Darauf nahm er Lohmann an seine Seite und ließ die beiden andern vorangehen. Lohmann kam sehr unlustig mit; aber Unrat begann ohne weiteres von des Sekundaners Lied vom runden Mond.
    »Steht deine Liebe und du hörst sie weinen«, sagte er. »Die Liebe, als ein Abstraktum, möchte nun zwar nicht weinen können. Da Sie indessen ›die Liebe‹ als eine Personifikation Ihres Seelenzustandes angesehen wissen wollen und nunmehr dies poetische Wesen aus Ihnen heraustritt, um an dem Ufer eines von Ihnen angenommenen Sees zu weinen, so mag’s denn sein. Hinzufügen aber muß der Lehrer, daß besagter Seelenzustand einem Sekundaner und noch dazu einem solchen mit ungewisser Aussicht, das Ziel der Klasse zu erreichen, keineswegs wohl ansteht.«
    Lohmann, erschreckt und erbittert, weil Unrat ein Stück von seiner Seele zwischen seinen dürren Fingern umwendete: »Das alles ist poetische Lizenz, Herr Professor, von Anfang bis zu Ende. Ein ganz frivoles Machwerk, l’art pour l’art, wenn Sie den Ausdruck kennen. Hat mit Seele absolut

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