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Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen

Titel: Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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lachte. Gleich nachher aber bekam sie wieder die starren, sinnenden Augen, mit denen sie Unrat manchmal betrachtet hatte. Eifersüchtig war er, das mußte wahr sein; und es gab ihr Hochachtung ein. Vielleicht saß er nun und giftete sich und war ihr spinneböse und konnte vor Galle nicht Mittag essen. So was war ja schrecklich. Ihr gutes Herz bewegte sich. Und nicht nur ihres Vorteils wegen, nein, auch aus Mitleid und auch aus Hochachtung machte sie sich auf den Weg.
    »Wir haben uns ja lange nich gesehn«, sagte sie, schüchtern und spöttisch.
    »Das hat denn auch seine Gründe«, brachte Unrat hervor. »Ich war – immer mal wieder – beschäftigt.«
    »Ach so. Und womit denn?«
    »Mit meiner Entlassung aus dem Lehrkörper des hiesigen Gymnasiums.«
    »Ich verstehe. Das hab ich als Vorwurf aufzufassen.«
    »Du bist gerechtfertigt. Ist doch auch der Schüler Kieselack entfernt worden und der dem Gebildeten offenstehenden Laufbahnen für immer verlustig gegangen.«
    »Der Ekel, dem gönn ich es.«
    »Von diesem Geschick ist es nun freilich zu wünschen, daß es zahlreiche andere Schüler ereile.«
    »Ja wie sollen wir das bloß anstellen«, und sie lächelte von unten. Unrat ward rot. Es entstand eine Pause, während deren sie ihn hineinführte und hinsetzte. Sie glitt auf seine Knie, versteckte das Gesicht hinter seiner Schulter und fragte demütig scherzend: »Ist Unratchen seiner kleinen Künstlerin Fröhlich nu auch gewiß nich mehr böse? Weißt du, was ich vor Gericht erzählt hab, das war ja tatsächlich alles. Gott is mein Zeuge, hätt ich fast gesagt, obschon das einem auch nischt hilft. Du kannst mir aber glauben.«
    »Mag’s denn sein«, wiederholte er. Und in dem Bedürfnis, sich ihr näherzubringen durch Klärung und Zusammenfassung der Vorgänge: »Es ist mir – traun fürwahr – recht wohl bekannt, daß die sogenannte Sittlichkeit in den meisten Fällen auf das innigste mit Dummheit verknüpft ist. Hieran kann höchstens der nicht humanistisch Gebildete zweifeln. Immerhin ist die Sittlichkeit von Vorteil für den, der, sie nicht besitzend, über die, welche ihrer nicht entraten können, leicht die Herrschaft erlangt. Es ließe sich sogar behaupten und nachweisen, daß von den Untertanenseelen die sogenannte Sittlichkeit strenge zu fordern sei. Diese Forderung hat mich indes – aufgemerkt nun also! – niemals dazu verleitet, zu verkennen, daß es andere Lebenskreise geben mag mit Sittengeboten, die von denen des gemeinen Philisters sich wesentlich unterscheiden.«
    Sie lauschte angestrengt und verwundert.
    »Ach nee. Wo sind denn die. Is das kein Schwindel?«
    »Ich selbst«, fuhr Unrat fort, »habe mich persönlich stets an den sittlichen Gepflogenheiten des Philisters beteiligt: nicht, weil ich ihnen Wert beigemessen oder mich an sie gebunden erachtet hätte, sondern weil ich – vorwärts, immer mal wieder! – keinen Anlaß traf, mich von ihnen zu trennen.«
    Er mußte sich im Sprechen selber anfeuern, so stockend und von Farbe und Kraftlosigkeit des heftigsten Schamgefühls befallen, brachte er seine kühne Lebensauffassung zum Vorschein.
    Sie bewunderte seine Rede und fühlte sich geschmeichelt, weil er sie ihr, nur ihr zum besten gab. Als er noch hinzusetzte: »Von dir dagegen habe ich, ich kann nicht umhin, dies festzustellen, zu keiner Zeit einen dem meinigen verwandten Lebenswandel erwartet« – da schnitt sie ihm vor Überraschung und Rührung eine Fratze und küßte ihn. Sie ließ kaum seinen Mund los, und er erläuterte schon wieder: »Was jedoch nicht verhinderte –«
    »Na was denn? Was verhinderte es denn nich, Unratchen?«
    »– daß meine zu dir gefaßte Zuneigung mir das Ertragen der dem Grundsatze nach zu billigenden Dinge in diesem konkreten Falle erheblich erschwert hat, ja, daß diese Dinge mir zum Schmerze gereicht haben.«
    Sie erriet ungefähr und hielt ihm ein schmeichlerischschiefes Köpfchen hin.
    »Denn ich erachte dich für eine solche, deren teilhaftig zu werden nicht so leicht einer verdient.«
    Sie ward ernst und nachdenklich.
    Unrat beschied sich.
    »Mag’s denn sein.«
    Aber dann, hervorgestoßen, unter dem Ansturm einer schrecklichen Erinnerung: »Nur einen gibt es, den könnte ich dir nie verzeihn, dessen mußt du dich – traun fürwahr – enthalten, den darfst du niemals wiedersehen. Das ist Lohmann!«
    Sie sah ihn erschöpft, voller Schweißtropfen, und begriff es nicht, weil sie nichts wußte von dem quälerischen Bilde, das ihn einmal

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