Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
mitsamt einer ungarischen Tänzerin dazukam, nahm die »Rotte Unrat« allen Raum ein, lärmte an der Table d’hôte, verlangte vom Kapellmeister die Musikstücke, mit denen die Künstlerin Fröhlich in ihrer Laufbahn zu tun gehabt hatte, ließ auf eigene Faust Feuerwerke abbrennen, stellte alles auf den Kopf und stiftete Vergnügen und Empörung.
Unrat war denen, die um seiner Frau willen mit ihm lebten, ein Rätsel. Er gab sich Blößen beim Verzehren mancher Gerichte, fiel auf einer Reunion lang hin, trug seine englischen Anzüge wie eine Verkleidung und schien, wenn man ihn so ansah, kein ernstes Hindernis bedeuten und keine andere Wirkung hervorbringen zu können als eine durch Kläglichkeit belustigende. Er dünkte einem von Natur immer im Verlieren. Dabei fing man aber, während man mit seiner Frau im besten Flirten war, unversehens einen trocken spöttischen Blick auf, den er einem von hinten widmete. Wenn er das Armband bewunderte, das man seiner Frau schenkte, hatte man auf einmal die Empfindung, man sei hineingefallen. Und noch nach Erlangung nahezu entscheidender Vorteile – auf einem späten Spaziergang an die See hinunter, allein mit der Frau, während der Gatte mit den andern bei der Bowle saß – kam man sich bei seinem Gutenachthändedruck wie der Ausgelachte vor und zweifelte nachdrücklich, ob man je ans Ziel kommen werde.
Und man kam nie hin. Denn Unrat verstand es viel zu gut, einen bei der Künstlerin Fröhlich zurückzuwerfen und abzutun. Er verspottete, sobald er mit ihr allein war, die englischen Redensarten der beiden Hamburger, zuckte die Achseln über den Brasilianer, der, anstatt flache Kiesel über das glatte Wasser springen zu lassen, Markstücke dazu nahm, und ahmte die feudalen Kopf- und Handbewegungen des Leipzigers nach, beim Anzünden einer Zigarette und beim Öffnen einer Flasche. Dann lachte die Künstlerin Fröhlich. Sie lachte, ohne daß Unrats Gründe für die Verächtlichkeit von alledem sie recht überzeugt hätten. Auch brachte er eigentlich nichts vor, als daß die Griechen das nicht so gemacht haben würden. Aber wer sie zu einem Gelächter aufforderte, dem war sie immer dankbar. Und überdies ward sie bezwungen von Unrats hartnäckiger und in ihrer Unangreifbarkeit beinahe majestätischer Überzeugung, daß kein menschliches Wesen in Frage komme neben ihm und ihr. Im Bann eines Starken, gewann auch sie an Selbstgefühl und Haltung. Zu dem Brasilianer, der an einer einsamen Klippe vor ihr im Sande kniete und die Hände rang, sagte sie, als gingen ihr nun wirklich die Augen auf, im Ton unmittelbarer Anschauung: »Sie sind
doch
’n Baffze.«
Dabei hatte es ihr geschmeichelt, daß dieser junge Mensch, der bei einer Familie aus der Stadt zu Gast war, alle seine Bekannten liegenließ, um mit ihr zu zigeunern und sein Geld auszugeben. Aber er war ein Baffze, kraft Unrats Verfügung.
Er fragte sie nach solchen Abwesenheiten niemals aus. Er zeigte sich nicht beunruhigt, wenn sie zu vorteilhaft angezogen war, wenn ihre Sommerkleider aus Spitzen und leichtem Leinen die Bewerber zu schlau in Atem hielten. Im Gegenteil, indes die Herren draußen warteten, half Unrat der Künstlerin Fröhlich, sich schön zu machen und schminkte sie, wie früher in der Garderobe. Er bemerkte mit seinem giftigen Lächeln: »Das Volk wird ungeduldig. Man müßte Klavier spielen lassen, damit es aushält.«
Oder:
»Wenn du jetzt, halb geschminkt und ihnen unerwartet, den Kopf durch die Tür stecken würdest, ei, da riefen sie denn wohl wieder hohohoho.«
Die Abreise aus dem Seebad erfolgte nicht ohne einen lebhaften Zwischenfall. Am Bahnhof war die ganze »Rotte Unrat«, und der Brasilianer hatte grade erst einige Worte mit der Künstlerin Fröhlich beiseite sprechen können, da keuchte hinkend ein alter Herr herbei, der Makler Vermöhlen, zu dessen Familie der junge Fremde zählte, und versuchte, seine Hand auf das Etui in den Händen der Künstlerin Fröhlich zu legen.
Sie hatte es soeben in aller Form von dem Brasilianer geschenkt bekommen. Unrat mußte herzueilen und die Rechte seiner Frau wahrnehmen. Während der junge Mann, voll Scham, seine ganze Verwandtschaft verleugnete, hielt der alte Vermöhlen in großer Erregung dem Ehepaar Unrat vor, daß sein Neffe in ihrer Gesellschaft schon längst seine Mittel überschritten habe. Diese Brosche habe er nicht mehr kaufen können; leider habe seine schwache Tante ihm das Geld dazu gegeben; es sei aber Vermöhlens Geld gewesen, und darum
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