Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen
Künstlerin Fröhlich und von ihren anmutig bemalten Lippen fielen: da klopfte sein Herz. Er mußte das Buch weglegen und sich sammeln. Seine Atmung war noch sehr in Unruhe; er nahm auf dem Tisch die kleine weiche und immer etwas fettige Hand der Künstlerin Fröhlich und sagte, er sei nicht gesonnen, sich auch nur für eine Stunde des ihm erübrigenden Lebens von ihr zu trennen. Er wolle sie heiraten.
Erst verzog sie den Mund zum Weinen. Darauf lächelte sie bewegt, lehnte ihre Wange an seine Schulter und wiegte sich darauf. Das Wiegen ward zum Zucken; ihr Jubel brach aus, sie riß Unrat vom Stuhl, schwenkte ihn umher.
»Nu wer’ ich Frau Unrat! Ich lach mir ja ’n Ast! Frau Professor Unrat – nee, Raat, bitte, meine Herrschaften.«
Und sie spielte sofort eine würdige Dame, die sich im Sessel niederläßt. Einen Augenblick redete sie vernünftig: Nun wolle sie gar nicht mehr ihre neue Wohnung; das meiste sei doch schon verkauft. Nun wolle sie mit in Unrats Villa vorm Tor und sie ganz neu einrichten! Dann platzte sie wieder aus. Schließlich beruhigte sie sich, ward nachdenklich aussehnd und äußerte nur noch: »Was aus ’n Menschen werden kann.«
Als er fragte, ob sie sich freue, und die Dinge sollten doch wohl recht bald vonstatten gehen, lächelte sie nur noch zerstreut.
Sie schien ihm die folgenden Tage niemals ganz bei der Sache. Zuweilen sah sie geradezu sorgenvoll aus, leugnete es aber standhaft. Sie ging oft aus und ward ungeduldig, wenn er mitwollte. Er war betroffen und empfand dunkel ein peinliches Rätsel. Eines Tages kam er darüber zu, wie sie aus einem niederen Gasthaus trat. Nach einer Weile schweigsamen Nebeneinandergehens versetzte sie geheimnisvoll: »Es is nich immer alles so, wie mancher woll meint.«
Dies beunruhigte ihn vollends, aber sie wollte sich nicht erklären.
Eines weiteren Tages endlich trippelte, wie Unrat allein und betrübt durch die mittäglich leere Siebenbergstraße ging, ein kleines weißgekleidetes Kind auf ihn zu und sagte mit einem einfältigen Plärrstimmchen: »Komm nach Haus, Papa.«
Unrat blieb erstaunt stehen und sah auf die kleine, weißbehandschuhte Hand, die das Kind ihm hinstreckte.
»Komm nach Haus, Papa«, wiederholte es.
»Was heißt nun das?« fragte Unrat. »Wo wohnst du denn?«
»Da«, und es zeigte hinter sich.
Unrat sah auf, und da erblickte er an der nächsten Ecke die Künstlerin Fröhlich, mit schmeichlerisch-schiefem Köpfchen und mit einer halben Gebärde der Hand, die sich schüchtern ein Stückchen von der Hüfte weg bewegte, als entschuldigte sie, und als bäte sie.
Unrat klappte ratlos mit den Kiefern. Auf einmal hatte er begriffen; und das weißbekleidete Händchen, das ihm noch immer hingehalten ward, er nahm es einfach.
XIII
Die Familie besuchte das nah gelegene Seebad. Sie wohnte im Kurhotel und hatte am Strande eines der hölzernen Chalets inne. Die Künstlerin Fröhlich trug weiße Schuhe und weiße Federboas zu weißen Voilekleidern. Sie sah frisch und luftig aus mit dem flatternden weißen Schleier an ihrem Crêpelisse-Hut und mit ihrem weißen Kind an der Hand. Auch Unrat bekam einen weißen Strandanzug. Auf der Bretterpromenade, an den langen Dünen hin, ward ihnen aus allen Holzhütten mit den Operngläsern nachgesehen; und jemand aus der Stadt erzählte Fremden ihre Geschichte.
Wenn das Kind der Künstlerin Fröhlich mit feuchtem Sande buk, mußte es seine Kuchenformen ganz festhalten; denn kaum lief es die unbestimmteste Gefahr, eine davon in Sand oder Wasser zu verlieren, stürzte sich schon irgendein eleganter Herr darüber her und brachte sie – nicht dem Kinde, sondern der Künstlerin Fröhlich. Dann nannte er mit einer Verbeugung vor Unrat seinen Namen. Infolgedessen saß die Familie in ihrem Strandhäuschen beim Kaffee nun schon mit zwei Hamburger Kaufleuten, einem jungen Brasilianer und einem sächsischen Fabrikanten.
Die zusammengewürfelte Gesellschaft machte Segelpartien, bei denen allen Herren übel ward, nur Unrat nicht. Er und die Künstlerin Fröhlich lachten einander zu. Das Kind erhielt täglich Pfunde Pralinés, nebst aufgetakelten Schiffchen, hölzernen Schaufeln und Badepuppen. Immer war man guter Dinge. Man ritt auf Eseln, Unrat mit verlorengegangenen Steigbügeln und an die Mähne geklammert, im Galopp bei der Kurmusik vorbei, grade zur Stunde des Konzerts. Die Künstlerin Fröhlich kreischte, das Kind jauchzte, und an den Tischen fielen saure Bemerkungen.
Als noch ein Berliner Bankier
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