Projekt Babylon
den Einfluss der keltischen Bräuche auf die Missionare und die Kirche im frühen England.«
Peter Lavell setzte seine Brille auf und studierte den Ausdruck eine kurze Weile. »Dieser Spezialist hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, es umzuformulieren.«
»Dann kommen mir die Absätze nicht von ungefähr bekannt vor, was?«
Peter legte die Papiere beiseite und begann, sich eine Pfeife zu stopfen. »Ja, er hat sie wortwörtlich abgeschrieben. Ich muss das wohl nicht alles lesen, ich gehe davon aus, dass er weder mein Buch noch meinen Namen erwähnt, hm?«
»Kein Wort über Sie. Und bestimmt wird er sich damit auch zurückhalten, wenn die ersten Lobeshymnen auf seine kompetente Recherche geschwungen werden.«
»Ja, das vermute ich auch.«
»Was werden Sie dagegen unternehmen?«
»Vielleicht treffe ich ihn einmal, dann spreche ich ihn darauf an. Immerhin ist er zwangsläufig auf meiner Seite, etwas, was sich bisher nicht von vielen sagen ließ.«
»Und die Colloquium medii aevi ?«
»Ihre Begeisterung für neue Medien in allen Ehren, Carsten, aber Sie überbewerten die Bedeutung eines Aufsatzes aus dem Internet.« Er lehnte sich zurück, um die Pfeife zu entzünden.
»Aber es ist hochaktuell...«
»Ist es deshalb auch relevant ? Wir haben diese Diskussion schon einmal geführt. Die Geschwindigkeit und das unkontrollierte Wuchern führen zu einem Overkill an Information. Eine solch globale Informationstransparenz mag revolutionär sein, aber nützt sie mir? Ist sie demokratisch oder anarchisch? Ich muss doch Experten identifizieren können, damit sich der Wahrheitsgehalt und die Relevanz von Informationen einschätzen lassen. Im Internet kann bald kein Mensch mehr unterscheiden, was eine originäre Neuigkeit ist oder bloß zum hundertsten Mal kopiert und verfälscht wurde.«
»Aber es gibt doch Expertenforen und seriöse Onlinemagazine, wissenschaftliche Publikationen und Diskussionsrunden. Sie sollten sich wirklich näher damit beschäftigen.«
Peter nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife und ließ den Rauch gemächlich an seiner Nase vorbeigleiten, als zöge er es ernsthaft in Erwägung, sich mit dem Internet auseinander zu setzen. Carsten wusste jedoch, wie illusorisch das war. Der Professor schrieb seine Texte noch immer mit einer textverarbeitenden Schreibmaschine statt mit einem Computer, da er sich nicht an die Bedienung der Maus gewöhnen konnte. Ihn zu einem sogar darüber hinaus gehenden Einsatz eines Rechners zu bewegen, war aussichtsloser, als einem Regenwurm das Jonglieren beizubringen.
»Bevor ich lerne, das Internet zu nutzen, warte ich, bis das Internet lernt, mir das bereitzustellen, was mir wirklich Nutzen bringt. Das kann sich nur um ein paar Jahre handeln.«
Carsten stand schmunzelnd auf. Eine solche Antwort hatte er erwartet. »Nun, Hauptsache«, sagte er auf dem Weg zur Tür, »Sie verlieren nicht den Anschluss.«
»Wir erforschen fünftausend Jahre Historie und mindestens weitere fünfundzwanzigtausend Jahre Prähistorie. Eine Terra inkognita so groß und voller Rätsel; ein paar Jahre unseres Lebens können da schwerlich ins Gewicht fallen, nicht wahr?«
»Ich hoffe, dass Sie Recht behalten, Peter. Ich muss los. Sehen wir uns im Amadeus zum Mittagessen? Um eins?«
»Ja, warum nicht.« Peter machte eine Geste mit der Hand. »Wenn mich bis dahin die Geschichte nicht eingeholt hat.«
Als Carsten gegangen war, öffnete Peter seine Briefe. Einer war per Overnight-Kurier aus der Schweiz gekommen. Absender waren die Vereinten Nationen. Einem kurzen Anschreiben war eine NDA, eine Verschwiegenheitserklärung, beigelegt. Mit dem unterzeichneten Schriftstück solle er sich am Flughafen Fuhlsbüttel ein Ticket abholen. Abflugzeit: 13.45 Uhr, Ziel: Genf.
Kapitel 3
21. April, Rua dos Remédios, Lissabon
Der Kellner brachte erneut zwei Kaffee, und während er die Marmorplatte des wackligen Tischchens abwischte, betrachtete er die beiden Herren verstohlen von der Seite. Es war nicht ungewöhnlich, lange Zeit nichts anderes als ein oder zwei bicas zu bestellen, es gab Studenten, die den ganzen Nachmittag bei einem einzigen Mineralwasser saßen. Aber diese beiden Herren passten nicht ins Bild, nicht hier, in der Alfama. Der eine war Ausländer, rauchte Kette, und sein Portugiesisch war leidlich. Der andere schien viel zu wohlhabend, um in diesem Café zu sitzen. Der Ausländer redete energisch und mit Händen und Füßen auf den anderen ein. Der Kellner bückte sich, um mit einem
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