Projekt Omega
Seide. Ihr kastanienfarbenes Haar hatte sie asymmetrisch frisiert. Auf der linken Seite war es straff zurückgekämmt, sodass ein Ohr frei blieb; rechts fiel es ungebändigt in schweren Locken über die Schulter. In der einen Hand hielt sie eine kleine, schwarz glänzende Handtasche, in der anderen ein halb volles Martiniglas.
»Ich würde gerne mit Ihnen reden.« Sie lächelte ihn an, doch es war ein bemühtes Lächeln, verkrampft und gezwungen.
»Worüber?«
»Es ist … Wie soll ich sagen … ein bisschen delikat.«
»Sind Sie sicher, dass ich der Richtige bin, dem Sie Ihr Herz ausschütten wollen? Wir kennen uns nicht und …«
»Es geht nicht nur um mich, auch um meinen Mann. Vielleicht sogar um die Sicherheit der Nation.«
»Sie machen mich neugierig. Wären Sie vielleicht so gütig und verraten mir Ihren Namen?«
»Ich heiße Joan Fallon und bin die Frau von Richard Fallon.«
Cotton horchte auf. Fallon war der engste Berater und Vertraute des Präsidenten.
»Mein Mann hält sein Privatleben, wozu auch ich gehöre, sehr privat. Ich gebe keine Interviews, lasse mich ungern von den Medien ablichten und begleite meinen Gemahl ausschließlich zu privaten Anlässen. Hätte ich nicht zufällig von ihm erfahren, dass Sie heute Abend auf diesem Bankett sind, wäre ich vermutlich gar nicht hier.«
»Wirklich? Ich fühle mich geehrt, aber …«
»Haben Sie ein Problem damit, wer ich bin?«
»Nein. Ich bin nur ein wenig verwirrt, wie ich der Frau eines der mächtigsten Männer unseres Landes helfen könnte.«
»Das versuche ich Ihnen gerade zu erklären, Mister Cotton.«
»Nennen Sie mich bitte Jeremiah.«
»Na schön, Jeremiah.« Sie sah ihn mit einem Ausdruck an, in dem sich Hoffnung und Verzweiflung die Waage hielten. »Aber zuerst müssen Sie mir versprechen, dass Sie mit niemandem darüber reden, was ich Ihnen anvertraue.«
»Wenn es sich um nichts Ungesetzliches handelt, kann ich Ihnen dieses Versprechen guten Gewissens geben. Also, wie kann ich Ihnen helfen, Ma’am?«
»Ich bin eine attraktive und im Vergleich zu meinem Mann junge Frau«, stellte sie selbstbewusst fest.
»Zweifellos.«
»Allerdings hat mein Äußeres auch eine Schattenseite.«
»Inwiefern?«
»Es gibt da einen dunklen Punkt in meiner Vergangenheit, von dem weder mein Mann noch jemand in seinem Umfeld weiß und auch niemals erfahren darf. Bevor ich Richard kennenlernte, war ich Schauspielerin in … nun ja, exotischen Filmen.«
»Exotisch? Meinen Sie damit etwa …?« Cotton lockerte mit einer Hand seine Krawatte, die er des feierlichen Anlasses wegen trug. Aus irgendeinem Grund schnitt ihm das ungewohnte Ding plötzlich die Luft ab.
»Ja, genau das meine ich. Bevor ich die Frau des Präsidentenberaters wurde, war ich Darstellerin in Schmuddelfilmen. Teils weil ich das Geld brauchte, teils aus der naiven Hoffnung heraus, dass mir diese Rollen den Weg zu einer seriösen Schauspielkarriere ebnen könnten. Bis vor Kurzem glaubte ich dieses Geheimnis sicher. Meine Filme waren Gott sei Dank nie ein großer Renner. Keiner kam je ins Kino. Die Machwerke verstaubten allesamt als billige Videokopien in den hinteren Regalreihen von Sexshops. Nachdem ich Richard kennengelernt hatte, habe ich vor einigen Jahren sämtliche Filme und Fotos aus dieser Zeit aufgekauft. Ich kannte ja die Regisseure und Fotografen von damals. Alles gescheiterte Existenzen, die von der Hand in den Mund leben. Deshalb waren sie nur zu gern bereit, mit meinen Ladenhütern noch etwas Geld zu machen. Also verkauften sie mir das Material. Im Handel befand sich zu dieser Zeit längst nichts mehr, dafür waren die Streifen zu betagt. Und die wenigen Exemplare, die den Weg über den Ladentisch gefunden hatten, waren vermutlich auch schon dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen.«
»Wunderbar, dann ist doch alles klar.«
»Das hatte ich auch geglaubt.« Sie wandte sich von Cotton ab und blickte hinaus in die Dunkelheit, die über der Parkanlage lag. »Bis ich vergangene Woche die Nachricht von einem noch existierenden Sexvideo mit mir in der Hauptrolle erhielt.« Tränen traten in ihre Augen. »Mein Mann würde mir diese Schande niemals verzeihen.«
»Erpresst man Sie um Geld?«
»Nein, es geht um Staatsgeheimnisse, die meinem Mann anvertraut sind. Präzise gesagt, geht es dem Erpresser um eine Akte mit dem Decknamen ›Projekt Omega‹, zu der mein Mann Zugang hat. Wahrscheinlich deponiert er sie zusammen mit anderen brisanten Dokumenten sogar in unserem
Weitere Kostenlose Bücher