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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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Javiers Körper hier war, aber er selbst nicht, und Julie fragte sich, wohin er verschwunden sein mochte. Hatte seine Seele sich aufgelöst wie ein Nebelschleier? Er war ein Halbseraph gewesen, ein Teil von ihm musste unsterblich sein. Verzweifelt hoffte sie, er möge zurückkehren, auf irgendeine Weise. Sie presste Javiers Hand an ihre Wange, aber sie war leblos und schwer wie Granit.
    »Es tut mir so leid.« Fédéric war zu ihnen getreten und kniete sich nun neben Nicolas und Julie. In seltener Einmütigkeit fassten sie sich an den Händen und nahmen Abschied vom besten Messerwerfer nördlich des Äquators und wahrscheinlich auch südlich davon.

1 5
    MontSt. Michel,August1789
    D ie Pferde der Comtesse waren schnell. Am Abend würden sie den Mont St. Michel erreichen. Doch sehen konnte Ruben ihn bereits viel früher. Wie gebannt verfolgte er, wie der Berg vor ihnen aus dem flachen Land zu steigen schien, je näher sie ihm kamen. Die gewaltige Abtei auf der Spitze ließ das darunterliegende Dorf winzig wirken, und ihre im späten Licht glühenden Mauern wirkten wie von Riesenhand errichtet. Erst, als das Meer zu sehen war, begriff Ruben, dass der Berg in Wahrheit eine Insel war und sie ein Boot nehmen mussten, um dorthin zu gelangen. Tatsächlich rollte die Kutsche jetzt durch eine Ansammlung von Häusern und wenige Minuten später hielt sie an einem kleinen Hafen.
    »Philippe wird sich um die Überfahrt kümmern«, sagte die Comtesse, während sie ausstieg.
    Ruben folgte ihr nach draußen. Es tat gut, die Kutsche zu verlassen und die Beine zu strecken. Er kannte das Meer nicht und atmete tief die salzige Luft ein, während eine Brise sein Haar zerzauste. Die weite Wasserfläche zog seinen Blick an, und er war überwältigt von ihrer scheinbaren Grenzenlosigkeit. Über den Wel len hingen Möwen, stießen plötzlich herab und stiegen mit blinkenden, zappelnden Fischen im Schnabel wieder auf.
    Er hätte dieses Schauspiel gerne noch etwas länger verfolgt, denn er fürchtete sich ein wenig vor dem Augenblick, den er so herbeigesehnt hatte, doch schon rief die Comtesse nach ihm und er eilte zum Anleger. Dort war Philippe dabei, der Comtesse in ein Fischerboot zu helfen. Kurze Zeit später saß Ruben neben ihr auf der vorderen Bank, während ein sonnenverbrannter Fischer sie mit kräftigen Ruderschlägen der Insel näher brachte.
    Die Abtei wirkte von hier unten übermächtig: Ihre Mauern warfen lange Schatten über das Wasser und die Dächer, Erker, Bogen und Türme der labyrinthischen Anlage traten jetzt in allen Einzelheiten hervor. Ruben fröstelte. Dies war also der Palast des Erzengels, seines Vaters.
    »Man hat wohl nicht so früh mit uns gerechnet, sonst hätte man uns eine Barke geschickt«, sagte Elisabeth d’Ardevon. »Euer Vater wird sehr erfreut sein, uns zu sehen.« Sie lächelte versonnen und wirkte dabei jünger als je zuvor. Ruben hätte die gemeinsame Bootsfahrt unter anderen Umständen sicher genossen, doch nun war er zu angespannt. Die erste Begegnung mit seinem Vater stand kurz bevor und er konnte an nichts anderes mehr denken.
    Als sie anlegten, befand Ruben sich in einem Zustand, der ihn kaum noch wahrnehmen ließ, was um ihn herum geschah. Neben der Comtesse durchschritt er ein Tor in der Ufermauer, dann ging es über eine Zugbrücke. Dahinter lag eine schmale, steile Gasse, die sich zwischen niedrigen Fachwerkhäusern aufwärtswand. Als Ruben den Kopf in den Nacken legte, schien die Abtei auf ihn herabzustürzen, und er stützte sich kurz an einer Hauswand ab.
    »Man gewöhnt sich an die Proportionen«, sagte die Comtesse und hakte sich bei ihm unter. »Aber nun kommt, mein Prinz, wir wollen Euren Vater nicht warten lassen. Man hat unsere Ankunft bemerkt und uns zwei Sänften geschickt.«
    Erst jetzt nahm er die vier kräftigen Burschen wahr, die neben zwei gepolsterten Tragesesseln warteten. Nachdem Ruben und Elisabeth d’Ardevon sich gesetzt hatten, wurden sie die steile Straße hinaufgetragen. Dabei waren die Träger so geschickt, dass Ruben den Eindruck hatte, sie liefen über ebene Erde. Dennoch wäre er lieber zu Fuß gegangen – sich tragen zu lassen, war ihm unangenehm. Doch daran würde er sich als Sohn des Erzengels wohl gewöhnen müssen.
    Die Häuser lagen still und dunkel, und Ruben fragte sich, ob sie bewohnt waren. Immer steiler ging es aufwärts, dann kamen sie zu einer breiten Treppe mit flachen Stufen. Wieder ging es durch ein Tor, dann wurden die Sänften abgesetzt.
    Als

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