Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
Vom Netzwerk:
sehen, dass Fédéric ein ungläubiges Gesicht machte.
    »Rizinus und Mäuseköttel, das gibt’s doch nicht.« Er kratzte sich an der Stirn. »Du bist ein Findelkind?«
    »Ich glaube nicht. Es klang so, als wüssten meine Eltern – also meine Pflegeeltern –, wer ich bin. Sie haben darüber geredet, dass ich besondere Kräfte hätte.«
    Es tat weh, an Jacques und Gabrielle zu denken. Julie wusste, dass die beiden sie liebten. Sie hatten sich immer gut um sie gekümmert, dennoch fand sie es unverzeihlich, dass sie ihr all die Jahre verschwiegen hatten, wer sie war. Zorn und Trauer und Enttäuschung verknoteten sich erneut zu einem harten Ball in ihrer Brust, und Julie war nicht sicher, ob er sich je wieder lösen würde.
    »Du sprichst wirklich mit deiner Katze? Und du siehst Lichter um die Leute herum?«, wiederholte Fédéric nach einer Pause.
    »Ich nenne sie Aureolen, weil sie ein bisschen so aussehen wie auf Heiligenbildern. Bei jedem Menschen sehen sie anders aus. Deine ist grün wie deine Augen; außer wenn du eifersüchtig bist, dann wird sie gelb. Diese Comtesse d’Ardevon hatte aber keine, genau wie ich. Sie wollte mich unbedingt mitnehmen, und meinen Vater hat sie geradezu verhext.«
    »Das klingt gar nicht gut«, flüsterte Fédéric »Das klingt sogar richtig gruselig!«
    »Ich sollte sie suchen. Vielleicht ist sie ja meine richtige Mutter.« Julie wusste, dass das nicht stimmen konnte, denn Jacques hätte ihre Mutter erkannt. Oder etwa nicht, nach so langer Zeit?
    Fédéric legte beide Hände auf ihre Schultern. »Mach nichts Un überlegtes! Sprich lieber mit deinen Eltern. Sie müssen dir erzählen, was das alles zu bedeuten hat.«
    Während er sprach, hielt er Julies Hand, und allmählich beruhigte sie sich wieder.
    Sie nickte. »Es gibt wohl keine andere Möglichkeit.«
    »Ich muss zurück in die Werkstatt, sonst kriege ich Ärger«, sagte Fédéric. »Aber ich komme später zu dir rüber. Mach keinen Unsinn, in Ordnung?«
    Julie machte sich auf den Heimweg. Inzwischen waren einige Leute unterwegs, vor den Schenken torkelten die ersten Betrunkenen herum und in den Hauseingängen standen Huren, die zum Zeitvertreib den Passanten unflätige Bemerkungen nachriefen. Julie achtete nicht darauf, sie war zu sehr mit sich beschäftigt. Heute Morgen waren Gabrielle und Jacques Lagarde noch » Maman « und »Papa« für sie gewesen, aber was waren sie jetzt? Und Julie selbst? Sie war nicht mehr die Tochter des Uhrmachers, sondern jemand, den sie nicht kannte. Und sie fürchtete sich davor zu erfahren, wer sie wirklich war. Sie wünschte, den Lagardes nicht gegenübertreten zu müssen, aber sie konnte nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Ihr Leben hatte sich für immer verändert.
    Derart in Gedanken versunken fiel ihr die schwarze Droschke, die langsam neben ihr herfuhr, erst auf, als jemand sich aus dem Fenster lehnte und leise ihren Namen rief. Es war Nicolas, das Gesicht halb hinter einem Vorhang verborgen. Überrascht blieb Julie stehen. Nicolas klopfte gegen die Tür, worauf die Droschke anhielt.
    »Was wollt Ihr?« Ihre Stimme klang unfreundlicher, als sie beabsichtigte.
    »Steig ein, schnell, sie suchen dich!«, sagte Nicolas. Dann ließ er den Vorhang zufallen und öffnete den Wagenschlag.
    Julie zögerte. Wollte er sie entführen, nachdem es seiner Mutter am Morgen nicht gelungen war, sie mitzunehmen?
    »Bitte, Julie!« Nicolas’ Stimme klang ernsthaft besorgt. »Wenn meine Mutter dich findet, ist es zu spät!«
    Die Erwähnung der Comtesse gab den Ausschlag. Julies Nacken prickelte, sobald sie an die unheimlichen Augen dachte. Sie schürzte den Rock ihres blauen Kleides und stieg ein, ohne Nicolas’ ausgestreckte Hand zu beachten. Sofort, nachdem er die Tür zugezogen hatte, fuhr die Droschke wieder an, sodass Julie sich an der Wand abstützen musste, um nicht auf Nicolas zu fallen. Die kleine Öllampe, die von der Decke hing, schwang hin und her und warf bizarre Schatten über Nicolas’ schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Doch er sah anders aus als am Nachmittag: Sein Haar war zu einem unordentlichen Zopf gebunden, sein Hemd stand halb offen und er trug weder Weste noch Halsbinde unter der Jacke aus dunkelgrünem Samt – anscheinend war er in großer Eile aufgebrochen.
    Julie zuckte zusammen, als er sich plötzlich vorbeugte, ihre Hand ergriff und sie neben sich zog. Schon bereute sie, dass sie seiner Aufforderung gefolgt war. Sie kannte ihn nicht einmal richtig! Gabrielle

Weitere Kostenlose Bücher