Prophezeiung der Seraphim
einigen gelang es, an Fédéric vorbeizufliegen.
Sie stürzten sich auf Nicolas, der Julie losließ und an den Flügeln seiner Angreifer zerrte, um sich zu befreien. Nun musste sie sich selbst verteidigen, denn drei weitere Welpen flatterten um sie herum und klatschten ihr die Flügel ins Gesicht. Diesmal gelang es ihr, sich nicht von Abscheu und Furcht überwältigen zu lassen, sie hob ebenfalls einen Steinbrocken auf und schleuderte ihn auf gut Glück gegen die Angreifer.
Sie konnte kaum etwas erkennen, Fédérics Laterne war die einzige Lichtquelle im Gang, aber anscheinend hatte sie getroffen, denn ein Cherub fiel zu Boden. Doch nun stürzten die beiden anderen sich von verschiedenen Seiten auf sie. Im letzten Moment wurde Julie nach unten gezogen, die beiden jungen Cherubim prallten in der Luft zusammen, stürzten ab und rollten in eine dunkle Ecke.
»Hilf mir mal«, sagte Fédéric.
Während sie beide am Boden kauerten, drückte er Julie sein Halstuch in die Hand, holte eine Blechflasche mit Lampenöl aus seiner Umhängetasche und tränkte das Tuch damit. Nicolas begriff, was er vorhatte und schleuderte eine Steinplatte von beträchtlicher Größe in die Masse aus Cherubim, die versuchten, ebenfalls in das Gewölbe einzudringen.
»Bleib unten, ich weiß nicht, ob es klappt«, sagte Fédéric, und bevor Julie etwas erwidern konnte, robbte er in Richtung des Torbogens. Sie kroch hinter einen Stützpfeiler und beobachtete, wie er die Laterne öffnete, die zum Glück noch brannte. Nicolas sah sich verzweifelt nach mehr Steinen um, lange würde er dem Ansturm nicht mehr standhalten. Da richtete sich Fédéric auf, spritzte das restliche Lampenöl auf die geflügelten Bestien und entzündete das ölgetränkte Tuch an der Laterne.
Als er es zwischen die Cherubim warf, wurde ihr Kreischen unerträglich: Die Flammen sprangen von einem zum anderen und wurden von bereits brennenden Artgenossen in die hinteren Reihen getragen. Binnen weniger Augenblicke gloste es in dem Gang wie in einem Schmelzofen, Fédéric und Nicolas wichen vor der Hitze zurück. Julie spürte den Stützpfeiler erzittern und sie wusste, was gleich geschehen würde.
»Weg hier!«, schrie sie durch den Lärm, sprang zugleich auf und packte Nicolas und Fédéric an den Kleidern. Schon bebte das Gestein um sie herum, dann ertönte ein Knall und ein Feuerball aus brennenden Cherubim schoss auf sie zu. Gerade rechtzeitig retteten sie sich in einen Seitengang. Julie spürte, wie glühende Funken sich durch ihr Kleid brannten, aber sie schenkte dem Schmerz keine Beachtung. Die Welt barst um sie herum, ein unbeschreibliches Getöse löschte alles andere aus.
Julie sah nichts mehr außer einer Staubwolke, die in ihren Fluchttunnel eindrang und Steine spuckte. Um sich zu schützen, legte sie die Arme um den Kopf und kauerte sich nieder. Mehrere Brocken trafen sie hart an Schultern und Rücken. Sie verharrte so lange, bis Stille einkehrte und der Staub sich senkte. Unerklärlicherweise drang jetzt vom Gewölbe her Tageslicht in den Gang.
»Julie, geht es dir gut?«
Sie drehte sich um. Fédéric sah aus wie ein Geist: Sein Körper, sein Haar, sogar seine Augenlider waren mit Staub bedeckt. Aus seinem Haaransatz rann Blut.
»Du bist verletzt«, sagte Julie. Ihre Stimme klang eigenartig flach in ihren eigenen Ohren.
»Ist doch egal. Hauptsache, wir leben noch.«
Jemand hustete, neben ihnen erhob sich Nicolas. »Meine Weste ist ruiniert«, murmelte er. »Woher kommt dieses Licht?«
Zusammen arbeiteten sie sich durch den Schutt, der den Boden bedeckte. Als Julie sich aufrichtete, blickte sie durch ein zerbrochenes Fenster in ein Zimmer mit einem geblümten Sessel, der von Teilen der eingestürzten Decke umgeben war. Ziegelstaub stieg auf wie roter Rauch .
»Das gibt’s doch gar nicht«, sagte Fédéric neben ihr.
Julie sah nach oben und begriff, was geschehen war. Sie standen am Grund eines Kraters, vor sich einen Haufen aus Geröll und die Trümmer eines mehrstöckigen Wohnhauses, das in die Tiefe gerutscht war, als der Boden sich unter ihm geöffnet hatte. Die linke Seite war noch beinahe vollständig, während die rechte sich in einen Berg aus Ziegelsteinen und geknickten Balken verwandelt hatte. Hoch über sich hörte Julie Leute schreien, dann neigten sich mehrere Gesichter über den Kraterrand.
»Wir müssen weg, bevor man uns entdeckt«, sagte sie und zog Fédéric mit sich, der immer noch wie erstarrt vor der Hausfassade stand. Nicolas folgte
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